Im kurdischen Herzland – Diyarbakir und Mardin

Zwar haben es die Kurden nur im Irak zu so etwas wie einem eigenen Staat geschafft, das Herzland der Kurden mit gut 15 Millionen Einwohnern liegt allerdings in der Türkei. Von der Identität der Kurden ausgehend, könnte auch hier von weitgehender Autonomie gesprochen werden, in der Realität sind die Kurden in der Türkei allerdings sehr weit von größerer Selbstbestimmung entfernt. Zwar wird die Bezeichnung „Bergtürke“ nicht mehr verwendet und Kurden dürfen sich ungestraft Kurden nennen, das Verhältnis zu den Türken ist aber mehr als angespannt. Als ich einem Türken, den wir im Iran kennenlernten, von unseren Reiseplänen erzählte: von der kurdischen Hauptstadt im Iran, Sanandaj, über die kurdische Hauptstadt im Irak, Erbil, bis zur kurdischen Hauptstadt der Türkei, Diyarbakir, fand er die Bezeichnung Hauptstadt nicht gerade angemessen 🙂 Zwar hört man in Europa nicht mehr wirklich etwas vom Kampf der PKK um größere Autonomie, aber als wir in der Türkei ankamen, flimmerten den ganzen Tag Bilder von Kämpfen zwischen PKK Rebellen und der türkischen Armee über den Fernseher. Viele Kurden versuchten auch gar nicht die Genugtuung darüber zu verbergen, dass es der riesigen türkischen Armee nicht gelingt, eine kleine Zahl von Rebellen zu besiegen. Selbst im Irak ist das türkische Militär aktiv. Militärstützpunkte gibt es zwar keine mehr, aber die türkische Kriminalpolizei hat Stützpunkte im Irak, und zuletzt haben im Herbst 2011 einige türkische Panzer einen Ausflug in den Irak unternommen. Es gibt wohl kurdische Träumer, die von einem kurdischen Staat sinnieren, der kurdische Siedlungsgebiete des Irans, der Türkei, Syriens und des Iraks umfassen sollte. Ob ein solcher Staat die Probleme der Kurden lösen würde, wage ich zu bezweifeln. Zwar bezeichnen sich alle als Kurden, aber selbst unserem oberflächlichen Blick zeigten sich so viele kleine Unterschiede, von der Kleidung über das Essen bis zur Sprache, dass anzunehmen ist, dass ein kurdischer Staat so viele Probleme schaffen wie lösen würde.

In Diyarbakir, der besagten kurdischen Hauptstadt in der Türkei (nur um es nochmal zu wiederholen), couchsurften wir mit einer jungen kurdischen Familie. Sie sprach zu Hause Türkisch, da sie außerhalb Kurdistans aufwuchs und daher kein Kurdisch spricht. Trotzdem fühlten sich beide als Kurden und waren mit der restriktiven Politik Ankaras mehr als unzufrieden. Die Frage, wie ihre kleine Tochter jemals Kurdisch lernen sollte, konnten sie aber auch nicht beantworten. Beide arbeiteten als Englischlehrer an einer öffentlichen Schule und da sie sich nicht ausgelastet (?) fühlten, haben sie vor wenigen Monaten noch ein Café eröffnet, das nach ihrer Tochter benannt ist. Wir waren erstaunt, welch stylische, große Wohnungen man sich in der Türkei als Lehrer leisten kann, vor allem wenn man das Einkommen von Lehrern in Osteuropa und Asien als Vergleichsmaßstab heranzieht. Gleichzeitig hörte sich die Jobbeschreibung aber nicht sehr ansprechend an. Klassengrößen von 50 Schülern sind keine Seltenheit, aber auch 80 sind möglich. Zwar darf ein Lehrer die Schüler offiziell nicht schlagen, sollte aber schon mal Ohrfeigen verteilen, um der Gerechtigkeit genüge zu tun, damit ein Konflikt in den nächsten Tagen nicht größere Kreise zieht und sich die Eltern gegenseitig ohrfeigen. Aber dafür endet der Schultag jeden Tag bereits um 12 Uhr 🙂

Vor Diyarbakir verbrachten wir noch zwei Tage in der fantastischen kleinen Stadt Mardin, die sich an einen Hügel schmiegt, auf dessen Rücken ein alte Zitadelle steht. Die Zitadelle ist leider nicht zugänglich, da sie vom türkischen Militär (die Kurden würden vielleicht von der Besatzungstruppe sprechen) als Basis genutzt wird, aber selbst der Blick von der Stadt auf die weite flache Umgebung ist phänomenal. Und das beste ist, dass man die Festung sieht, sobald man den Kopf dreht. Nicht ganz so angenehm waren die Preise in der Türkei, ein Anzeichen dafür, dass wir fast wieder zu Hause waren.

Leider hatten wir unsere Pässe im Hotel in Mardin vergessen, und so mussten wir von Diyarbakir zurück nach Mardin trampen, um die Pässe zu holen. Wir hatten sowieso keine Lust mehr auf Sightseeing, da kann man auch ein bisschen durch die Gegend trampen und Leute kennenlernen. Schließlich ist die Türkei ja das beste Land überhaupt, um per Anhalter zu fahren, ein Feld, in dem die kulturelle Ähnlichkeit von türkischen Kurden und Türken besonders deutlich hervortritt. Auf dem Rückweg von Mardin versuchte ein LKW Fahrer uns sogar Geld für einen Minibus zu geben, da er nicht bis ins Zentrum Diyarbakirs fuhr. Und er war wirklich hartnäckig, selbst wenn man iranische Tarof-Maßstäbe anlegen würde. Unglaublich, und das im dreckigsten und heruntergekommensten LKW, den ich jemals gesehen habe. Da wir uns sonst wohl dreckiger als der LKW gefühlt hätten, haben wir das Geld aber natürlich nicht angenommen 🙂

Blick auf die Festung in Mardin

Mardin

Kreative Teppiche in Diyarbakir mit dem kurdischen Nationlhelden Che 😉

Unsere Gastgeber in Diyarbakir

Brücke über den Tigris in Diyarbakir

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