Beginn des Fastenmonats Ramadan und eine Weinstadt ohne Wein – Isfahan und Shiraz

Der Fastenmonat Ramadan gibt einige Rätsel auf. Nach Meinung einiger sind Reisende von den Fastenregeln ausgenommen. Nach Meinung anderer sollten Moslems während Ramadan überhaupt nicht reisen, da sie durch das Reisen ihr Fasten brechen. Zumindest zum Beginn des Fastenmonats wollte anscheinend jeder zu Hause sein, denn Bus- und Zugtickets von Mashhad, einem wichtigen Pilgerort, waren auf Tage hin ausverkauft. Mit Glück und Hilfe unserer Couchsurfing-Gastgeber fanden wir allerdings doch noch Zugtickets nach Isfahan. Die unterschiedlichen Interpretationen in Bezug auf den Fastenmonat sollten uns noch öfter begegnen. Wir sitzen, als ich diese Zeilen schreibe, in einem Bus von Shiraz nach Yazd, und alle sind ordentlich am futtern 🙂 In Isfahan trafen wir uns mit unserem Gastgeber, einem Englischlehrer und drei weiteren Couchsurfern aus der Türkei und Finnland. Für die sunnitischen Türken sollte Ramadan schon am nächsten Tag beginnen, im schiitischen Iran erst einen Tag später. Gut für uns, da wir einen Tag gewannen, um uns in der Öffentlichkeit durch die Süßigkeiten zu futtern. Eine besondere Spezialität in Isfahan und Shiraz ist Faluda (oder so ähnlich geschrieben), Nudeleis, das zusammen mit Zitronensoße und Safraneis gegessen wird.

Mit unserer größeren Gruppe von Couchsurfern verbrachten wir den ersten Abend im armenischen Viertel (Jolfa) Isfahans. In diesem Stadtteil, der einst vor den Toren der Stadt lag, lebten ausschließlich armenische Christen. Heute findet man hier immer noch orthodoxe Kirchen und eine große christliche Bevölkerungsgruppe. Das Viertel hat sich allerdings zu einem In-Bezirk gewandelt, in dem man schicke Restaurants findet und die Teenager besonders aufgedonnert nach Augenkontakt mit dem anderen Geschlecht suchen. Wir kauften einige Flaschen iranischen „Biers“ und ließen uns auf einem kleinen Platz nieder, um das Treiben zu beobachten. In der Mitte des Platzes saßen die stylisch herausgeputzen Jungs und bestaunten die Mädels, die mit ihren hohen Stöckelschuhen um den Platz wackelten. Die Kopftücher waren dabei soweit zurück gerückt, dass sie lediglich die Blumenspangen verdeckten, mit denen die Haare kunstvoll zusammengebunden waren. So viel lüsternes Treiben war für die Sittenpolizei zu viel und daher wurde der Platz von einigen Polizisten geräumt. Gruppen junger Menschen sind dem Regime  nicht geheuer. Ein junger Mann weigerte sich, von seinem Platz aufzustehen und wurde kurzerhand verhaftet. Wir zogen uns tiefer in das armenische Viertel zurück und setzten uns an einen kleineren Platz. Dort trugen unzüchtige armenische Damen jenseits der 80 zwar zu kurze Röcke, die an anderer Stelle sicherlich zur Verhaftung geführt hätten, hier aber niemanden störten. Christen genießen allgemein gewisse Privilegien im Iran. In Teheran soll es sogar einen Sportkomplex geben, in dem Frauen ohne Kopftuch Sport treiben und Männer in kurzen Hosen bewundern dürfen.

Später am Abend ging es zur angeblich besten Pizzeria Isfahans. Hunderte Menschen versorgten sich hier mit Pizza und rollten dann auf dem gegenüberliegenden Park ihre Picknick-Teppiche aus (einem Einsatz von Teppichen, der sogar mir als bekennendem Teppichgegner sinnvoll erscheint). Insgesamt ist die iranische Picknick-Kultur sehr elaboriert. Neben Teppichen sind Wasserpfeifen, Kühltaschen und Gaskocher zur Bereitung von Tee und Entzündung der Kohle für die Wasserpfeife Standard. Einen besonderen Picknick- Platz besuchten wir am nächsten Abend. Der Sofe Park am Fuße des gleichnamigen Berges bietet herrliche Ausblicke über die Stadt. Hier fanden sich neben unzähligen Familien, die ihre Picknick-Teppiche ausgerollt hatten, auch junge Musiker, die Gitarre spielten und über die Probleme der Menschen sangen. Die Polizei beschränkte sich, zumindest als wir dort waren, auf das Regeln des Verkehrschaos. Eine Gruppe junger Männer lud uns zum Schischa rauchen ein und wir lernten einen amerikanisch-iranischen Professor kennen, der seit 25 Jahren in den USA lebte, jetzt aber einige Monate in den Iran zurück musste. Da er seinen Bachelor-Abschluss im Iran gemacht hatte, stellte ihn die Regierung vor die Wahl, 90.000 $ zu zahlen oder mehrere Monate im Iran zu arbeiten. Unsere Gastgeber erzählten uns Geschichten von ihren Verhaftungen, da sie mit einer „Freundin“ in der Stadt erwischt wurden, ihre Ehepapiere vergessen hatten oder die Schule geschwänzt hatten, um trotz Ramadan etwas zu essen. Die theoretisch möglichen körperlichen Strafen wurden bei ihnen allerdings nicht angewandt, sondern die Polizei verständigte einfach nur die Eltern.

Kirchen im armenischen Stadtteil Jolfa in Isfahan

Schischa

Mit unseren Schischa Freunden, die uns spontan einluden

Jofe Park

Auch wenn wir ohne unsere Gastgeber in Isfahan unterwegs waren, waren wir nie allein, da uns immer irgendjemand aufgabelte. Wir verbrachten mehrere Stunden mit einem Iraner, der im Alter von 14 Jahren nach New York ausgewandert war, es dort zum Koch bei MCDonalds gebracht hatte und sich größte Mühe gab, in seinem Iran Urlaub wie ein New Yorker Großstadt-Gangster zu wirken. Weiterhin trafen wir zwei Jungs, die gerade die Schule beendet hatten und auf dem Imam-Platz Touristen „auflauerten“, um ihr Englisch zu verbessern. Sie waren froh, endlich Touristen gefunden zu haben, die keine Pläne hatten und Zeit mit ihnen verbringen konnten. Die beiden hatten wie alle jungen Menschen im Iran den Plan,  zu emigrieren, und da sich die beiden selber als religiös bezeichneten und auch Ramadan befolgen wollten, nutzen wir die Gelegenheit, um die schiitische Praxis des Betens näher erklärt zu bekommen. Schiiten beten nämlich nur drei Mal täglich, behaupten allerdings, dass dies fünfmaligem Beten entspreche. Die Erklärung, dass das morgentliche und abendliche Gebet jeweils doppelt zähle und man daher in Wirklichkeit fünf Gebete pro Tag in Richtung Himmel schicke, überzeugte uns allerdings nicht wirklich, zumal diese Gebete nicht einmal länger sind. Praktischer ist diese schiitische Praxis aber auf jeden Fall 😉

Imam Moschee in Isfahan. Fast alle Sehenswürdigkeiten im Iran sind mit einem Gerüst versehen, bisher haben wir aber noch keinen einzigen Arbeiter gesehen. Scheint wohl eine Dauereinrichtung zu sein ...

Blick vom zoroastristischen Feuertempel (Ateshkadeh-Ye-Esfahan)

Feuertempel der Anhänger Zarathustras (Ateshkadeh-Ye-Esfahan)

Sheikh Lotfollah Moschee

Imam Moschee

Jameh Moschee

Si-o-Seh Brücke

Nach zwei Tagen in Isfahan begann dann am dritten Tag schließlich auch im Iran der Fastenmonat. Zwischen  4:20 Uhr und 20:30 ist das Essen und Trinken (auch Wasser) für gut 16 Stunden für alle Frauen ab 9 Jahren und alle Männer ab 15 Jahren untersagt. Der 14 jährige Bruder kann seiner 9 jährigen Schwester jedenfalls einen Monat die Nase lang machen. Zwar scheint jeder seine eigene Theorie zu haben, welche Personengruppe aus welchen Gründen vom Fasten ausgenommen ist, klar scheint jedenfalls, dass das Essen in der Öffentlichkeit gesetzlich verboten ist. Und tatsächlich konnten wir in Isfahan kein einziges geöffnetes Restaurant finden, und auch die Touristenattraktionen schlossen früher (wie alle Firmen), da die Angestellten die langen Stunden bis zum Abend nur im Schlaf überbrücken können. Nachmittags war die Stadt tatsächlich wie ausgestorben und die Bazar-Händler, die ihre Stände nicht geschlossen hatten, schliefen auf ihren Waren. Den ganzen Vormittag über lag allerdings an allen Ecken Essensduft in der Luft und die Lebensmittelgeschäfte waren voller Menschen, die riesige Einkaufstüten schleppten. Zwar wird über den Tag gefastet, vor allem an den ersten und letzten Tagen des Ramadan kommen die Familien allerdings nach Sonnenuntergang zu großen Gelagen zusammen. Unser Gastgeber, der nichts von Ramadan hält, dessen Familie allerdings streng religiös ist, vertritt die Theorie, dass während Ramadan wesentlich mehr gegessen werde als normalerweise und die Menschen während des Fastenmonats eher zunehmen. Eine Theorie, die mit Blick auf die in Zuckerwasser getränkten speziellen Ramadan-Süßigkeiten sehr einleuchtend erscheint. Er erzählte uns auch von der Gereiztheit, die ab dem Nachmittag das Leben bestimmte, seinem Vater, der nachmittags nicht ansprechbar war, und den Streitereien, wenn das Essen nicht pünktlich zwanzig nach acht auf dem Tisch stand. Diese Gereiztheit können wir absolut nachvollziehen, waren wir doch schon nach wenigen Stunden ohne Wasser so gereizt, dass wir kurz davor standen, ein Flugticket nach Haus zu kaufen 😉

Eine Frage, auf die man unterschiedliche Antworten bekommt, ist die nach der Zahl der Iraner, die sich wirklich an die Fastenregeln halten. Die Schätzungen variieren zwischen 80%, die sich an die Fastenregeln halten und 80%, die sich nicht daran halten. Letztere Zahl wird dabei häufiger genannt und spiegelt die Realität wohl am ehesten wieder. Nachdem wir in den ersten Tagen in Isfahan beinahe verzweifelten, da wir tagsüber kein Restaurant, kein Cafe und keine Eisdiele fanden, hat sich das Bild in den letzten Tagen in Shiraz verändert. Wir fanden Restaurants und Eisdielen, die die Schaufenster mit  Zeitungen oder Plastikplanen abgehängt hatten und im von außen nicht einsehbaren Innern eine größere Masse an Sündern bedienten. Eine Praxis, die seit einiger Zeit toleriert wird. Wir fanden sogar einen Kiosk in einem Park, der uns offen Kaffee verkaufte, den wir heimlich im Schatten großer Bäume genossen, wobei wir nicht die einzigen waren, die diesen Park zu Gesetzesverstößen nutzten. Fragt sich, warum wir plötzlich so viele Möglichkeiten zur Regelumgehung finden. Drei Theorien scheinen möglich. Entweder ist unser Blick einfach wachsamer geworden oder die ersten Iraner haben den Vorsatz des Fastens nach zwei Tagen wieder aufgegeben. Vielleicht gibt es aber auch Unterschiede zwischen den einzelnen Städten. Das ganze Versteckspiel fühlt sich zwar an wie das erste Mal Schule schwänzen, zeigt aber nur, wie fern sich die Welten der Mullahs und der Menschen sind. Von den Wünschen ihrer Untertanen verstehen die Mullahs jedenfalls höchstens so viel wie der Papst vom Geschlechtsverkehr.

In Shiraz, einer Stadt mit tausendjähriger Weinbautradition, die heute allerdings staubtrocken ist, hatten wir Couchsurfing-Gastgeber, die sich aus Überzeugung an die Ramadan-Regeln hielten. Sie trug auch zu Hause ein Kopftuch, wenn ich in der Wohnung war, und beide standen um 4 Uhr auf, um zu frühstücken. Und das, obwohl wir erst um ein Uhr im Bett waren. Respekt. Zum Glück hatten sie allerdings kein Problem damit, dass wir erst wesentlich später frühstückten und uns auch sonst erst ab 20 Uhr am Fasten beteiligten  🙂

Wie bisher bei all unseren Gastgebern im Iran handelte es sich auch bei ihnen um ein verheiratetes Pärchen, da ein Zusammenleben ohne Hochzeit nicht möglich ist.  Auch sie hatten einen Plan, im Ausland zu studieren und zu arbeiten, und wie auch bei allen unseren Gastgebern war die Auswahl zwischen Tausenden Fernsehprogrammen, die über drei Satelliten empfangen wurden, beeindruckend. Da Satellitenschüsseln an sich verboten sind, schert sich nämlich auch niemand darum, dass die Receiver gehackt werden, um alle verschlüsselten Sender zu empfangen. Da sich der Iran im Kampf der Kulturen mit den USA befindet, kann keine lizenzierte Software gekauft werden. Dafür gibt es aber alle PC und PlayStation Spiele sowie Office, Windows und alle möglichen Programme für jeweils unter einen Euro auf DVD zu kaufen. Würde ja anbieten, einige DVDs mitzubringen, aber das wäre in Deutschland im Gegensatz zu kopierten Steuersünder CDs ja illegal 😉

Arg-e Karim Khan in Shiraz

Vakil Moschee

Eingang zum Bazar

Nachwuchs-Bazar-Händler

Grab ( Aramgah-e Hafez) des Nationalpoeten Hafes (14. Jahrhundert). Die Menschen pilgern zu seinem Grab und lesen, auf das Grab gestützt, in seinen Gedichtbänden.

Mit unserer Gastgeberin aus Shiraz

Iraner lieben wildes Zelten. Morgens finden sich am Straßenrad eine große Zahl an Zelten und Menschen, die auf ihren Picknickdecken schlafen.

So verbringen die meisten Iraner die letzten Stunden eines langen Ramadan-Tages

Eingangstor zur beeindruckenden Ruinenstadt Persepolis (aus dem 6. Jahrhundert v. Chr.) in der Nähe von Shiraz. Im 4. Jahrhundert v. Chr. wurde die Stadt allerdings von Alexander dem Großen geschliffen (er ist Dschingis Khan hier ein paar Jahre zuvorgekommen :-)).

Einer der letzten Bewohner.

Felsengräber (Naqsh-e Rostam) der archämenidischen Herrscher

Modeboutique

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