Rot-Front – Vom Suchen der letzten Deutschen und Finden des ersten Franzosen

Die Geschichte könnte mit der Berliner Band Rot-Front beginnen. Da deren Name in meinem Kopf irgendwelche Glocken läutete, ein Geläut das sich Dank wikipedia zu einer richtigen Erinnerung verdichtete, liefen wir gestern 8 Kilometer auf einsamen Landstraßen unter der glühenden zentralasiatischen Sonne in Richtung Rot-Front. Die Geschichte könnte man allerdings auch schon 85 Jahre vorher beginnen lassen, als sich deutsche Russlandmennoniten auf die Suche nach fruchtbarem Ackerland begaben. Eine Gruppe von ihnen gründete im Jahr 1927 den Ort Bergtal, der Anfang der dreißiger Jahre von den Sowjets in Rot-Front umbenannt wurde. Ein, wie ich ich finde, doch ganz netter Kompromiss in der Namensgebung. Nicht so konterrevolutionär-spießig wie Bergtal, sondern revolutionär-dynamisch und doch immer noch deutsch 😉 Mit dem ersten Menschen-gegen-Kredite Abkommen, mit dem der Ostblock versuchte, sich vor dem Bankrott zu retten (vielleicht können sich Union und FDP ja auch durchringen, ein paar ehemalige Gastarbeiter aus Griechenland zurück zu kaufen), begann 1987 eine erste Rückwanderungswelle der Deutschen aus dem Osten und damit auch aus Zentralasien.

Durch ein bisschen googeln konnten wir Rot-Front ungefähr auf unserer undetaillierten Karte verorten. Da das in Kirgisistan bekannte Issyk-Ata Sanatorium nicht weit entfernt liegt, entschieden wir uns, eine Marschrutka in Richtung Sanatorium zu nehmen und unterwegs an der richtigen Weggabelung auszusteigen. Da allerdings niemand etwas mit dem Namen Rot-Front anfangen konnte, landeten wir schlussendlich doch erst einmal am Sanatorium. Wir spielten kurz mit dem Gedanken, hier eine Nacht zu verbringen, da es heiße Quellen mit Blick auf die Berge geben sollte. Diesen Plan gaben wir angesichts des sowjetischen „Charmes“ der ganzen Anlage mit ihren heruntergekommenen verfallenden Gebäuden und angesichts einer hoffnungslosen Überfüllung schnell wieder auf. Hier nur die schöneren Seiten der Anlage.

Wir fanden eine andere Karte, auf der Rot-Front eingezeichnet war, und beschlossen, ein Stück zurück zu trampen, was problemlos funktionierte. In der Ortschaft Sin Tash gabelte sich dann die Straße. Links ging es zurück nach Bischkek und rechts sollte als nächste Ortschaft Rot-Front liegen. Da es auf der Karte ziemlich nah aussah und niemand in unsere Richtung fuhr, beschlossen wir zu laufen. Im Endeffekt waren es dann doch 8 Kilometer und wir liefen eineinhalb Stunden auf einer einsamen Landstraße entlang verlassener Kolchosen-Gebäude und endloser Felder, bis das erlösende Rot-Front Schild vor uns auftauchte.

Warten auf eine Mitfahrgelegenheit

Ich weiß auch nicht, was wir eigentlich erwartet hatten, aber wir trafen zunächst einmal nur Kirgisen und fanden auch kein Homestay vor. Glücklicherweise hatten wir vorher von einer französischen Familie gehört, die in Rot-Front lebt und Pferdereisen organisiert. Wir fragten eine Gruppe junger angetrunkener Russen und Kirgisen, die vor einem kleinen Getränkeladen herumlungerten, nach dem Straßennamen und wurden trotz ihres angeheiterten Zustands in die richtige Richtung geschickt. Da Rot-Front lediglich aus zwei  parallel laufenden Straßen besteht, war dies allerdings auch nicht all zu schwierig.

Der Franzose war etwas verblüfft, dass wir unangemeldet vor seiner Tür standen, aber wir konnten zum Glück in einem seiner Gästezimmer schlafen, da eine Gruppe französischer Touristen erst am nächsten Tag von einem neuntägigen Reitausflug zurückkehren sollte. Leider konnte er daher auch keine Pferde für uns organisieren, da alle Pferde, bis auf sein eigenes, unterwegs waren. Yann, der Franzose, war kein Religionsflüchtling, sondern auf verschlungenen Pfaden oder besser gesagt auf mysteriösen Strömungen nach Kirgistan gelangt. Auf einem Segelboot aufgewachsen, musste sein Vater von Zeit zu Zeit Geld verdienen, was er unter anderem als Programmierer für die UN in Kirgisistan tat. Da es der Familie ganz gut gefiel, blieben sie in Kirgisistan, und da ihnen ein Deutscher beim Kauf der ersten Pferde half, landeten sie schlussendlich in Rot-Front.  Also, wer gerne mal 9 bis 18 Tage durch Kirgisistan reiten möchte, findet auf www.asiarando.com einen interessanten Ansprechpartner. Nach Auskunft von Yann wohnten nur noch zehn deutsche Familien in Rot-Front. Jedes Jahr würden allerdings einige den Ort verlassen.

Hauptstraße in Rot-Front

Ein unscheinbares Gebetshaus

Da wir bisher noch keinen Deutschen zu Gesicht bekommen hatten, machten wir uns noch einmal auf den Weg durch das Dorf. Wir saßen einige Zeit vor dem Dorf-Supermarkt. Alle paar Minuten kam ein Kind vorbei und verließ den Supermarkt kurze Zeit später mit einer Flasche Wodka oder einer zwei Liter Plastikflasche Bier unter dem Arm. Hier scheint das Leben noch in Ordnung 🙂 Kinder von Mennoniten würden wir hier wohl eher nicht antreffen. Wir gingen also weiter und kamen nach einiger Zeit an einem Haus vorbei, das verdächtig deutsch aussah. Kein verwitterter krummer Bretterverschlag, sondern ein ordentlicher, frisch gestrichener Zaun, kein Wildwuchs, sondern auf acht Millimeter gestutztes Grün und zwei strohblonde kleine Mädchen in sauberen Kleidchen im Garten. Also wenn das keine Deutschen waren, können es höchstens Skandinavier oder Engländer gewesen sein (das Gebiss der Kinder haben wir allerdings nicht zu Gesicht bekommen :-)) Da wir ein schlechtes Gefühl hatten, dreckig wie wir waren, in diese Bilderbuchwelt zu platzen, trauten wir uns nicht zu klingeln. Stattdessen beschlossen wir, ein bisschen am Gebetshaus herum zu lungern, das wir am Ortseingang entdeckt hatten. Wo sonst sollte man Mennoniten treffen, wenn nicht im Gebetshaus. Und tatsächlich trafen wir dort einen deutschen Nachbarn des Gebetshauses, der uns dieses sogar aufsperrte und bereitwillig zeigte. Ein schlichter großer Raum mit vielen Kirchenbänken, Platz für einen Chor sowie deutschen und russischen Sprüchen an den Wänden. Seine Vorfahren hätten zunächst im heutigen Usbekistan gewohnt, bevor sie weiter nach Kirgistan zogen. In der Familie spreche man Deutsch und in der Schule Russisch, wobei er besser Russisch als Deutsch spreche. Sein Deutsch war wirklich fließend, wenn auch mit einem interessanten russischen Akzent versehen. Die größte deutsche Gemeinde lebe allerdings nicht in Rot-Front, sondern in Talas, das im Grenzgebiet zu Kasachstan liegt. Wirklich gesprächig war der gute Mann aber leider nicht.

Nachdem wir immerhin noch einen der letzten Deutschen in Rot-Front angetroffen hatten, begaben wir uns zurück zu unserem gastfreundlichen Franzosen, um einen netten Abend mit ihm und seinen sechs Hunden und drei Katzen zu verbringen.

Zum Schluss noch ein paar Bilder aus dem entspannten Bischkek:

Bewachung der überdimensionierten Fahne

 

Lenin wurde zwar vom zentralen Platz verdrängt und trägt nicht einmal mehr eine Namensplakette, sein kultureller Einfluss ist jedoch unverkennbar 🙂

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