Bis letzte Woche hätte ich behaupten können, noch nie einen wirklichen Kulturschock gespürt zu haben. Doch eine Woche auf einer Farm, nur 20 Kilometer vom Stadtzentrum von Ulaanbaatar entfernt, hat mich eines Besseren belehrt. Da die Eindrücke so vielfältig und nicht wirklich in Worte zu fassen sind, fange ich einfach mal von hinten an. Ich schreibe diese Zeilen in einem richtigen Bett, liegend. Das Glücksgefühl, das die erste Dusche seit einer Woche, eine leckere Salamipizza und ein kaltes Bier hinterlassen haben, wird allerdings durch die Tatsache getrübt, dass irgendein Drecksack, für diese Situation eine durchaus passende Wortwahl, auf der Rückfahrt im vollen Bus meinen MP3-Player mit 24 GB Hörbüchern aus meinem Rucksack geklaut hat. Ein ziemlicher Vollidiot (Name ist der Redaktion bekannt) hat es dem Dieb allerdings auch zu einfach gemacht, da der Player im obersten Fach des Rucksacks verstaut war. Na ja, die ganzen Warnungen, die man über Taschendiebe in Ulaanbaatar hört, können wir somit aus erster Hand bestätigen.
Da ich immer noch nicht weiß, wie ich meinen Kulturschock in Worte fassen soll, beschreibe ich einfach mal, welchen Kulturschock die nette Familie (6 Kinder) durch uns, insbesondere durch Ania, die im Hochbett über mir seit gut zwei Stunden (Nach-)Mittagsschlaf hält, ertragen musste. Wie einigen bekannt sein dürfte, hat Ania etwas, was man als Milchphobie beschreiben könnte. In einem mongolischen Haushalt, dessen Speiseplan mehrmals täglich Milch, meist garniert mit nicht identifizierbaren Schafsteilen, vorsieht, ruft dies doch eine gewisse Verwunderung hervor. Hier einige der Fragen, die Ania in den letzten Tagen beantworten durfte:
- Trinkt dein Vater Milch?
- Trinkt deine Mutter Milch?
- Trinkt deine Schwester Milch?
- …
- Warst du schon beim Arzt?
Aber zum Glück hat sich einer der fünfzehnjährigen Söhne in Ania verschossen, und daher gab es anstatt Milchtee fast nur noch „schwarzen Tee“, oder zumindest das, was sich Mongolen darunter vorstellen 🙂 Aber das ist eine andere Geschichte. Als unliebsame Nebenwirkung durfte ich allerdings wunderbare Fragen beantworten wie z.B.
- Warum hast du Ania geheiratet?
- Wann lasst ihr euch scheiden?
- …
Aber zumindest gab es keinen Milchtee mehr.
Ein kleinerer Kulturschock für die Familie war wohl die Tatsache, dass wir noch nie einen Dschingis Khan Film gesehen hatten. Davon gebe es ja schließlich ein ganzes Dutzend. Diese Bildungslücke konnten wir aber glücklicherweise zumindest teilweise in der letzten Woche schließen. Wir erfuhren von den Kindern auch, dass Dschingis Khan vier Frauen hatte, zwei Mongolinnen und zwei Ausländerinnen, wobei er nur mit den Mongolinnen Kinder gezeugt hätte. An anderer Stelle lasen wir zwar von 500 Frauen und Geliebten; da der Reiseführer allerdings vor Diskussionen über Dschingis Khan warnte, haben wir das Thema nicht viel weiter vertieft.
Aber ansonsten war die Familie wirklich sehr nett und hat uns wie Familienmitglieder aufgenommen. Das bedeutete aber auch, dass wir meistens wie Familienmitglieder zur Arbeit animiert wurden. Nach einem 10 Stunden Arbeitstag haben wir uns dann einfach öfter davon gemacht, um nicht mehr als 7 Stunden pro Tag zu arbeiten. Die Arbeit bestand meistens aus Einpflanzen von Salatsetzlingen, aber wir konnten auch an der Entstehung eines neuen Gewächshauses aus Wasserleitungen, Marke Eigenbau, mitarbeiten. Ein Highlight war dabei die Fahrt mit einem alten russischen Laster, mit pneumatischen Scheibenwischern, in ein benachbartes Tal, um aus Schafs- und Kuhmisthaufen sowie Erdhaufen eine perfekte Mutterbodenmischung herzustellen 😉
Da wir allerdings ziemliche Weicheier sind, jeden einzelnen Muskel in unserem Körper spüren und ich mir wirklich Sorgen um den Umfang meines Bauches mache, sind wir nach einer Woche wieder abgereist, um die schon erwähnte Pizza zu verspeisen und auszuschlafen, ohne von einem hormongeplagten Teenager am frühen Morgen geweckt zu werden.
Der Beschreibung meines Kulturschocks bin ich jetzt zwar nicht wirklich näher gekommen, aber zum Abschluss gibt es für diejenigen, die es bis zum Ende des Artikels geschafft haben, zumindest ein kleines Gedankenbild, das die Fantasie weiter anregen kann. Man stelle sich eine mittelgroße blaue Schüssel vor, die halb voll mit den gesamten Innereien eines Schafes gefüllt ist. Diese Schüssel platziere man auf dem Fußboden und setze fünf hungrige Kinder darum, die mit ihren Taschenmessern die Innereien zerlegen und genussvoll verspeisen.
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