Über die Kulturgrenze ins europäisch-mongolische Kirgisistan

Schon wieder haben wir eine Kulturgrenze überschritten. Vom Reich der Mitte ins ehemalige Reich der Sowjetunion. Nach China fühlt sich Kirgisistan, das sich 1991 als erstes aus der Sowjetunion herauslöste, derart europäisch an, dass man sich fast wie zuhause fühlt. Im Treppenhaus unseres ersten Homestays in Naryn roch es nach frisch gebackenem Kuchen, im Tante Emma Laden um die Ecke gab es eine Wodka Auswahl, die es mit jedem großen deutschen Supermarkt aufnehmen könnte und dazu eine vernünftige Auswahl an echter Schokolade. Der Eindruck wird durch die vielen deutschen Gebrauchtwagen noch verstärkt. Kleinbusse mit Warburger Werbung, Schlosserei Müller oder DRK- Aufschrift und eine Vielzahl alter Audi 100.  Während der Fahrt mit der Transsib im letzten Jahr hatten wir an irgendeinem Punkt den Gebrauchtmarktäquator überschritten, der den deutschen und den japanischen Einflussbereich scheidet. In China scheint es keine ausländischen Gebrauchtwagen zu geben, und nun sind wir also wieder im deutschen Einflussbereich. Die Kombination von übermotorisierten deutschen Autos mit modernen chinesischen Straßen, die diese in allen ihren Nachbarländern errichten, ist allerdings eine eher unglückliche Kombination, da die selbstmörderischen Fahrer in Kirgisistan ihre Führerscheinprüfung  in Ladas auf sowjetischen Holperstraßen absolvierten.

So europäisch Kirgisistan im Vergleich zu China auch erscheint, ist es doch mehr noch mongolisch geprägt. Anders als die Mongolen sind die Kirgisen näher am islamischen Einflussbereich und daher Moslems. Wie unser Reiseführer allerdings treffend anmerkt, hatten die Kirgisen vom moslemischen Glauben nur das übernommen, was in die Satteltasche ihrer Pferde passte 🙂 Schöner kann man es nicht ausdrücken. Vielleicht sollte man Religion weltweit auf Satteltaschengröße beschränken, dann müssten alle Pferde weniger schleppen und die Reiter sich weniger aufregen.

Andererseits geriet Kirgisistan auch in den sowjetischen Einflussbereich, und in den größeren Städten sind noch viele russischstämmige Menschen zu sehen. Der russische Einfluss lässt sich auch an der enormen Höhe der Stöckelschuhe sowie der sich umgekehrt proportional verhaltenden Länge der Röcke ablesen. Auch der Hang, Früchte in Form von Marmelade in Einmachgläsern zu konservieren, könnte auf den Einfluss der sowjetischen Mangelwirtschaft zurückzuführen sein. Zusammengefasst könnte man Kirgisistan als eine Art Mongolei mit Bergen, Bäumen, Früchten, Russen, Moscheen und deutschen Gebrauchtwagen beschreiben. Damit ist Kirgisistan wohl weder europäisch noch mongolisch, sondern irgendwie kirgisisch.

Kirgisistan hat mit vielen gemeinschaftsbasierten Touristeninitiativen und Homestays eine gute Infrastruktur für Touristen, was allerdings seinen Preis hat. Falls man nicht jede Nacht im eigenen Zelt schlafen möchte, ist Krigisistan kein wirklich günstiges Reiseland. Dazu trägt wohl auch die Tatsache bei, dass fast alle Hotels den Anschein erwecken, seit stalinistischer Zeit nicht mehr renoviert worden zu sein und als unbewohnbar gelten müssen. Da wir uns in der Mongolei nicht für längere Zeit auf Pferde getraut hatten, wollten wir dies in Kirgisistan nicht versäumen, da sich so viel in dieser Kultur um Pferde dreht.

Von Kyzart aus ging es daher mit einem Führer und einem Reisenden aus Frankreich in zwei Tagen zum  Song-Köl See. Wir starteten mit leichtem Nieselregen, unsere Pferde ließen sich allerdings einigermaßen steuern. Lediglich das Anhalten gestaltete sich für mich etwas schwierig, da das Pferd mein röchelndes „Brrrrrr“ einfach nicht verstehen wollte. Der Versuch, mir die Aussprache eines rollenden rrrr beizubringen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt, sorgte aber für allgemeine Belustigung. Ich sollte dann halt einfach fester an den Zügeln ziehen, um anzuhalten.

Am ersten Tag ging es durch ein Tal zu Füßen der Berge, die uns vom See trennten. Wir verbrachten die Nacht mit einer Hirtenfamilie, die uns mit Marmelade, frischer Butter, Kartoffeln und natürlich Hammelfleisch versorgte. Die Temperaturen fielen am Abend gewaltig. Zunächst schneite es am frühen Abend nur wenige Meter oberhalb unseres Camps, und als wir in der Nacht aufwachten, war die Außenhaut unseres Zeltes mit Eiskristallen überzogen. Damit war dies offiziell die kälteste ,die wir bisher in unserem kleinen Zelt überlebten 🙂

Die Hoffnung, nachts nicht aus dem Zelt zu müssen, erfüllte sich allerdings leider nicht so ganz, da mich nachts die Magenprobleme wieder heimsuchten, die eigentlich schon als überwunden galten. Magen-Darm-Bakterien scheinen eine Art schwarzen Humor zu haben und schlagen bevorzugt zu, wenn sich der Betroffene bei Minusgraden über ein Erdloch hocken muss. Zumindest war das Erdloch in diesem Falle an dreieinhalb Seiten windgeschützt und das fehlende Dach ließ den Blick auf den klar funkelnden Sternenhimmel frei. Die windschiefe „Tür“ ließ dagegen den Blick auf fünfzig im Schein der Taschenlampe gelblich leuchtende Schafs-Augenpaare frei, was stark an einen billigen thailändischen Horrorfilm erinnerte. Am nächsten Tag war dann aber plötzlich alles wieder in Ordnung und ich konnte dank meinem Pferd den verschneiten, wolkenverhangenen Bergpass sicher erklimmen. Ania´s Margen-Darm Bakterien hatten allerdings einen noch viel schwärzeren Humor und schlugen erst zu, als ihr Opfer am zweiten Tag auf dem Pferd saß. Aus Rache schlagen wir jetzt allerdings nach einer Eigendiagnose mit Hilfe von Dr. med Inter Net, der im Gegensatz zu kirgisischen Ärzten des Englischen mächtig ist, mit der vollen chemischen Keule zurück 🙂

Da an dieser Stelle die Gefahr besteht, dass sich der Artikel entweder in unappetitlichen Details oder kitschigen Beschreibungen der kirgisischen Natur verliert, schließe ich an dieser Stelle. Statt Naturbeschreibungen dürfen die Bilder sprechen und alle weiteren Details, ob unappetitlich oder naturromantisch, bleiben der Fantasie des Lesers vorbehalten.

Fahrt von Kashgar zur kirgisischen Grenze auf dem Torugart Pass

Einigen der knapp 100 LKW, die meist leer vor der chinesischen Grenze warten, nutzen auch die Gegenspur, was uns für einige Zeit den Weg versperrt. Zum Glück war der Grenzer, der in unserem Auto mitfuhr, nicht bewaffnet, sonst hätte es mit Sicherheit Tote gegeben 🙂

Chinesischer Wachturm

Die Kirgisen machen gerade Mittagspause, und daher müssen wir eine Stunde vor verschlossenen Türen warten. Dafür müssen wir später nicht einmal unsere Rucksäcke zur Kontrolle aus dem Auto nehmen.

Kochkor

Kinder vor unserem Homestay in Kochkor.

Pferdetrekking von Kyzart zum Song-Köl See

Erstes Nachtlager im Kilenche Jailoo

Überquerung des Passes am nächsten Morgen

Unendliche Weiten

Mittagspause

Yurte am Isyk-Köl See

 

 

Dieser Beitrag wurde unter 14. Kirgistan veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.