Iran – Ein Land, in dem alles anders ist (als man denkt)

Im Iran ist auf den ersten Blick alles ganz anders. Neben der persischen Schrift, die von rechts nach links gelesen wird, werden auch die Bücher von „hinten“ nach „vorne“ gelesen. Freitag ist der iranische Sonntag, einen Samstag gibt es nicht, da man sechs Tage pro Woche arbeitet. Die Ziffern der Nummern sind anders, es wird ein anderer Kalender verwendet und das heutige Datum ist der 31.04.1391. Aus Zentralasien kommend ist der Iran trotz der etwaigen Schwierigkeiten, die diese Andersartigkeit mit sich bringt, eine Oase. Genauer gesagt eine Süßigkeitenoase in der Wüste der kulinarischen Grausamkeiten Zentralasiens. Es ist unglaublich, was es hier alles gibt, und allein der Versuch, es in Sprache auszudrücken, könnte nur im Wahnsinn des Ringens um passende Worte enden. Gleiches gilt auch für die Menschen. Man kann sich wohl keinen anderen Ort auf Erden vorstellen, über den man so viel begeisterte Berichte hört, und von dem man trotz der hohen Erwartungen nicht enttäuscht wird.

Diese Begeisterung muss sich vor dem Hintergrund der offiziellen iranischen Regeln ziemlich merkwürdig anhören. Nachtclubs, Tanzschulen und sogar das Tanzen selber sind genauso verboten wie private Partys, in denen nicht verwandte Männer und Frauen zusammenkommen. Das Tragen kurzer Hosen ist verboten. Eine Verschleierung in der Öffentlichkeit ist vorgeschrieben, das Internet zensiert und somit facebook, youtube oder twitter gesperrt. Satellitenfernsehen ist verboten. Ausländische wie auch iranische Filme werden zensiert. Szenen, in den Frauen zu viel Haut zeigen oder Szenen, in denen sich Männer und Frauen zu nahe kommen, zum Beispiel bei der Begrüßung per Handschlag, werden herausgeschnitten. Islamische Glaubensrichtungen, die vom Wahrheitsglauben der Mullahs abweichen, sind verboten, und Liebesbeziehungen vor der Ehe werden hart bestraft. Von Homosexualität erst gar nicht zu sprechen …

Dies alles und noch viel mehr ist der offizielle Iran, daneben gibt es aber noch einen anderen Iran. In diesem Iran wird die Internetzensur über türkische vpn Zugänge umgangen. In diesem Iran hat jeder einen facebook Zugang, schaut sich europäische und amerikanische Tanzsendungen oder den Grand Prix an. Satellitenantennen werden auf dem Schwarzmarkt gekauft und versteckt installiert. Man trifft sich mit Freunden zu Partys, und es wird bei jedem Zusammenkommen getanzt. Das Kopftuch zeigt mehr als es verdeckt und wird zum reinen Modeaccessoire. Die Straßen sind bis spät in die Nacht voller Menschen, die spazieren gehen oder in Parks ihren Teppich ausrollen und picknicken. Die „Vergnügungsviertel“ quellen vor Restaurants über. Jede unsinnige Regel, die das Regime aufstellt, scheint die Menschen nur noch stärker aufzufordern, still zu protestieren. Obwohl man so viel offen zur Schau getragenen zivilen Ungehorsam sieht, hat jeder Iraner die Geschichte einer Verhaftung durch die Sitten-Polizei zu erzählen. Ein zu weit hinten getragenes Kopftuch, das Essen in der Öffentlichkeit während des Fastenmonats Ramadan oder auch nur ein öffentliches Lachen im falschen Moment sind Grund genug. Auch der gemeinsame Aufenthalt von Ehemann und Ehefrau kann auf dem Polizeirevier enden, falls bei einer Kontrolle kein Ehezertifikat präsentiert werden kann.

Trotzdem waren wir in den ersten drei Tagen im Iran jeweils erst um drei Uhr im Bett (ein Party-Rhythmus, den man nur im Iran durchhalten kann, da es keinen Alkohol gibt). Nachdem wir in Indien von den tatsächlichen Tanzkünsten der Inder doch etwas enttäuscht waren, konnten wir im Iran dagegen am ultimativen Tanzbattle teilnehmen. Da Nachtclubs verboten sind, fahren Iraner einfach mit ihren Autos und laut aufgedrehter Musik durch die Straßen und tanzen im voll besetzten Auto. Am ersten Abend fuhren wir mit zwei Autos kreuz und quer durch Maschhad und andere Fahrer links und rechts begannen mit zu tanzen. Gewinner des Tanzbattles war allerdings ein Motorradfahrer, der beim Überholmanöver spontan sein Lenkrad los ließ und gekonnte Hüftschwünge auf seinem Motorrad vollführte. Der Freiheitsdrang ist allerdings ständigen Angriffen durch das Regime ausgesetzt. In Maschhad, einer Stadt im Nordosten des Lande, in der wir die ersten Nächte verbrachten,  verkündete der Imam vor einer Woche, dass Restaurants spätestens um Mitternacht schließen müssten. Zu viel Vergnügen ihrer Untertanen ist den Mullahs suspekt.

Neben vielen anderen Dingen ist auch Couchsurfing im Iran verboten, was die Iraner, neben ihrer wohl angeborenen Gastfreundschaft, zu noch viel entschlosseneren Couchsurfern macht. Wir hatten unser Couchgesuch für gerade mal 10 Stunden veröffentlicht und erhielten acht Einladungen. Wir surften auf der Couch eines jungen Pärchens, das sich an der Uni kennengelernt hatte. Sie  sind verheiratet, da man ansonsten nicht zusammenleben kann. Er arbeitet als Informatiker, sie hat noch keinen Job gefunden, da man auch studierte Frauen lieber als Sekretärinnen beschäftigt statt als Informatikerinnen.

Einen Abend waren wir bei einem anderen jung verheirateten Paar eingeladen, deren Hochzeit schon im Teenageralter von den Eltern arrangiert wurde. Die eigentliche Hochzeit erfolgte allerdings erst vor wenigen Tagen im Alter von Mitte 20. Ein besonderer Anblick war die fünfzehnjährige Schwester unserer Gastgeberin, die auch zu Hause ihr Kopftuch nicht abnahm, da nicht zur Familie gehörende Männer anwesend waren, uns aber trotzdem zu einem Jennifer Lopez Song ihre Tanzkünste vorführte.

Bevor wir in den Iran kamen, hatten wir leichte Bedenken, ob man uns für die kürzlich eingeführten westlichen Sanktionen, die aktuell zu hoher Inflation führen, verantwortlich machen könnte. Die Sanktionen sind zwar ein großes Thema, da vor allem auch die Preise der Grundnahrungsmittel steigen, aber die Menschen, die wir getroffen haben, machen ihre eigene Regierung für die Sanktionen verantwortlich. Unser schlechtes Gewissen bleibt, dass die westlichen Regierungen auch in unserem Namen schwachsinnige Sanktionen unterstützen, die nur die Bevölkerung treffen.

Ein großes Thema ist auch der Holocaust. Das Wissen über den Völkermord an den Juden erhalten die Menschen hier lediglich über Dokumentationen in illegal empfangenen Satellitenprogrammen. Da Ahmadinedschad versucht, am Thema Holocaust zu beweisen, dass es in Europa keine Meinungsfreiheit gebe, wird in der iranischen Öffentlichkeit die Legende verbreitet, dass man in Europa nicht über den Holocaust sprechen dürfe. Die Information, dass nur die Leugnung des Holocaust verboten ist und dies auch lediglich in Deutschland, sorgte jedenfalls für einiges  Erstaunen.

Erster Abend im Iran mit Joghurt-Drink

Ania im geliehenen Chador zum Besuch einer heiligen Städte in Maschhad. Unsere Gastgeberin haben wir zur Sicherheit aus dem Foto geschnitten, da sie kein Kopftuch trug.

Bananenshake mit zusätzlich Cashews, Pistazien, Eiscreme, Schmand und einer extra Banana!!! Falls man davon nur einen pro Woche trinkt, könnte man das Ganze auch als Diät verkaufen.

Geburtstagsparty

 

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