Mittlerweile sind wir schon über eine Woche in Pakistan und jeden Tag aufs Neue von der Gastfreundschaft der Menschen überwältigt. Für Islamabad/ Rawalpindi hatten wir auf Ccouchsurfing sieben Einladungen von potenziellen Gastgebern erhalten. Dabei stellen pakistanische Gastgeber nicht nur eine Couch für die Nacht zur Verfügung, sondern nehmen den Gast, der auch zu den Mahlzeiten eingeladen wird, komplett in die Familie auf. In Minibussen müssen wir auch immer darum kämpfen, den Fahrschein selber kaufen zu dürfen, da ein Sitznachbar, mit dem man sich zwei Minuten unterhalten hat, „seinem Gast“ den Fahrschein bezahlen möchte.
Von Lahore fuhren wir über eine gut ausgebaute Autobahn nach Islamabad, der erst seit den 60er Jahren entstandenen Hauptstadt Pakistans. Islamabad unterscheidet sich von allen anderen pakistanischen Städten, da sie in Form rechtwinkliger Sektoren von zwei mal zwei Kilometern konstruiert wurde. Diese Sektoren sind mit Buchstaben und Zahlen gekennzeichnet und werden von breiten Alleen durchzogen. Rickshaws sind hier offiziell verboten, da sie für eine Hauptstadt als zu rückständig erscheinen und die Stromausfälle beschränken sich auf sechs Stunden pro Tag. Islamabad geht nahtlos in die wesentlich größere, chaotischere und ältere Stadt Rawalpindi über, die bereits vor der Gründung Islamabads Zentrum des pakistanischen Militärs war. Auch heute noch bestimmt das Militär das Straßenbild in Rawalpindi. Öffentliche Schulen und eine Vielzahl von Krankenhäusern werden hier durch Armee und Luftwaffe betrieben. Halb Rawalpindi ist somit ein Cantonment, d. h. eine Stadtteil mit großer Zahl militärischer und politischer Einrichtungen. Das Wort Cantonment wurde aus der Kolonialzeit von den Briten übernommen, die damit Stadtteile bezeichneten, die der Kolonialverwaltung und den Kolonialherren vorbehalten waren. Dieser Tradition folgend ist unser pakistanisches Visum mit dem Hinweis versehen, dass uns geraten sei, Cantonments nicht ohne offizielle Erlaubnis zu betreten. Da allerdings ganze Stadtteile als Cantonments ausgewiesen sind und unsere Gastgeber in Rawalpindi und Lahore sogar im Cant wohnten, stellte sich dies als etwas problematisch dar. In Lahore waren wir mit unserer Gastgeberin auf dem Weg zu einem Einkaufszentrum, als man uns zunächst die Durchfahrt durch das Cantonment verbieten wollte. Wir sollten einen vierzigminütigen Umweg in Kauf nehmen. Nachdem unsere Gastgeberin dem Soldaten lautstark verkündete, was sie davon hielt, holte er dann allerdings die Genehmigung von seinem Vorgesetzten ein und wir durften passieren. Ansonsten wurden wir glücklicherweise nicht kontrolliert und hatten somit auch keine Probleme. Die Restriktionen für Touristen scheinen einem gewissen Verfolgungswahn der pakistanischen Regierung geschuldet, die ausländische Touristen generell der Spionage verdächtigt. Wäre auch eigentlich ganz schön, wenn uns die CIA die Pakistanreise im Austausch für sinnlose Informationen bezahlen würde. Dabei fühle ich mich auch schon ohne CIA Auftrag teilweise als US Botschafter, da jeder mit mir die Rolle der USA und den Einfluss der USA auf Deutschland diskutieren möchte. Ich kann die Pakistaner dann immer verblüffen, wenn ich ihnen erzähle, dass niemand einen Abzug der US Truppen aus Deutschland möchte, da diese einen enormen Wirtschaftsfaktor darstellen. Das mit der Befreiung Deutschlands von den Nazis erscheint für sie auch eher merkwürdig, da Hitler doch für seine Nation gekämpft und sich aufgeopfert habe. Wozu brauchte es da einer Befreiung? 🙂
Generell erscheint Pakistan voller Verschwörungstheorien. Die USA und die pakistanischen Geheimdienste hätten die ganze Zeit gewusst, dass sich Osama in Abottabad versteckte. Da Obama einen Erfolg benötigt habe, sei Bin Laden letztes Jahr zur Strecke gebracht worden. An der schlechten Energieversorgung in Punjab (Lahore, Islamabad) seien die Pakistaner der anderen Provinzen schuld (Sindh, Baluchistan), die Punjab bestrafen wollen. England habe den Kaschmir-Konflikt 1947 gezielt entfacht, um die neuen Mächte Indien und Pakistan zu schwächen. Auf meine stets gestellte Frage, ob denn ein baldiges Ende des Kaschmir- Konflikts möglich sei, habe ich noch keine positive Antwort erhalten. Alle diese Verschwörungstheorien scheinen Ausdruck der Unsicherheit der Menschen zu sein, die klar erkennen, dass sie in einem Staat leben, der von Korruption sowie langjähriger Militärherrschaft zerfressen ist und zu dem viele Landesteile bereits seit der Staatsgründung 1947 nicht angehören wollen. Gleichzeitig sind viele Pakistaner, zumindest in Punjab, stolz auf ihre Nation und ihr Land und freuen sich darüber, dass man als Tourist nicht nur die hysterischen Schlagzeilen verfolgt, sondern auch ihr Land besucht, in dem der allergrößte Teil der Menschen einfach nur versucht, ein normales Leben zu führen. Mir drängt sich immer mehr der Gedanke auf, dass das Hauptproblem in der fehlgeleiteten Idee liegt, dass sich eine Nation allein auf dem Merkmal der Religionszugehörigkeit aufbauen ließe. Würde es nicht allen Menschen auf dem Subkontinent besser gehen, wenn es die Trennung gar nicht gegeben hätte? So etwas darf man in Pakistan nicht zu laut aussprechen, aber uns sind durchaus auch schon Pakistanis begegnet, die es genau so sehen. Nachdem Hindus und Moslems zunächst gemeinsam für die Unabhängigkeit von England kämpften, entwickelte der Dichter Iqbal, der in Europa studierte und dort wohl zu viel nationalromantische Literatur aus dem 19. Jahrhundert las, die Idee eines unabhängigen moslemischen Staates. Der nicht gerade bescheidene Name Pakistan, der so viel wie „Land der spirituell Reinen und Puren“ bedeutet, wurde von einem seiner Schüler erfunden. Ende der 1930er Jahre gelang es Iqbal, einen der wichtigsten politischen Anführer der Moslems von der Notwendigkeit eines eigenen Nationalstaats zu überzeugen. Jinnah, der heute auf jedem Geldschein abgebildet ist, verstarb allerdings schon 13 Monate nach Staatsgründung und niemand konnte in seine Fußstapfen treten. Gemeinsam mit Gandhi verfolgte Jinnah zunächst das Ziel eines indischen Staates als Heimat für Hindus und Moslems. Auch als er sich der Sache Pakistans annahm, schwebte ihm die Idee eines offenen multikulturellen Landes vor.
In allen drei Großstädten, die wir bisher besuchten (Lahore, Islamabad, Rawalpindi) fällt neben der Gastfreundschaft der Menschen auch die Vielzahl der nebeneinander existierenden Lebensstile auf. Man findet sehr westlich gekleidete Frauen ohne Schleier neben solchen, die durch schwarze Tücher komplett verhüllt sind. Allerdings sprechen uns auch einige in Burkas gehüllte Frauen freundlich und ungeniert an.
Wir haben zunächst fünf Nächte in Islamabad verbracht, wo wir bei einer pakistanischen Familie mit drei Kindern im Alter zwischen 8 und 15 Jahren lebten. Der Familienvater hat mit Couchsurfing begonnen, als er berufsbedingt für ein Jahr von seiner Familie getrennt in Lahore lebte und nach einer Freizeitbeschäftigung suchte. Die Familie hatte vor ein paar Jahren schon ein Migrationsvisum für Großbritannien erhalten, hat sich dann allerdings doch bewusst für ein Leben in Pakistan entschieden, da man als Pakistaner in GB mit Diskriminierungen rechnen muss und sich der Lebensstandard durch die Migration nicht unbedingt erhöht hätte. Wer kann sich in Europa schon zwei Haushälterinnen leisten 🙂 Unser Gastgeber ist zugleich tief religiös und absolut weltoffen. Er ist gleichzeitig stolz auf Pakistan und benennt die großen Probleme dennoch ganz deutlich. Er hat eine Gruppe gegründet, die die Wanderwege in Islamabad säubert und versucht so, bei seinen Mitmenschen einen Mentalitätswandel in Umweltfragen zu erzeugen. Gleichzeitig ist er Mitglied in einer Fahrradgruppe, die sich für dieses umweltfreundliche Verkehrsmittel einsetzt. Das letzte was ich vermutet hätte in Pakistan anzutreffen, war ein Umweltaktivist. Glücklicherweise erlaubt Couchsurfing spannende Menschen kennenzulernen, die man sonst nie getroffen hätte. Nach fünf Tagen in Islamabad ziehen wir in das nur wenige Kilometer entfernte Rawalpindi zu einem anderen Gastgeber um. Zu unserem Erstaunen stellen wir fest, dass es sich bei unseren Gastgebern um eine christliche Familie handelt. Christen stellen in Pakistan eine kleine Minderheit von gerade mal zwei Prozent der Bevölkerung dar. Sie können ihre Religion relativ frei ausüben, dürfen allerdings nicht missionieren und keine neuen Kirchen errichten.. Unser Gastgeber wohnt in einem Haus mit seinen Eltern und seinen beiden bereits erwachsenen Schwestern. Der Vater, ein 68 Jahre alter Ehemaliger , überrascht uns zunächst mit seiner Selbstbeschreibung als radikalen katholischen Fundamentalisten und stellt unsere Religionskenntnisse auf die Probe. Je mehr wir ihn kennenlernten, desto weniger erschien er uns allerdings als Fundamentalist. Wegen seiner Knieprobleme gehe er nicht mehr in die Kirche und falls wir mit ihm einen Whisky trinken möchten, ließe sich das ohne Probleme arrangieren. Schließlich dürfen Christen in Pakistan Alkohol erwerben und schon Jesus habe Wasser in Wein verwandelt. Das größte Problem bestünde in Pakistan darin, katholische Ehemänner für seine Töchter zu finden. Um uns das Problem zu verdeutlichen, gesteht er uns, dass er sogar einer Hochzeit mit einem „Negro“ zustimmen würde. Seine Frau ist die Tochter eines Iren und einer indischen Hinduistin, die zwar kein Englisch spricht, sich aber freut Gäste im Haus zu haben. Unser eigentlicher Gastgeber ist der Sohn der Familie, der eine katholische Nonnenschule in Pakistan besuchte und uns ausgiebig von den Prügeleinheiten erzählt, die er von den Nonnen einstecken durfte. Zur Zeit knackt er irgendwelche Codes für eine russische Firma und fertigt Studienarbeiten für ausländische Studierende an. Beides Beschäftigungen, die sich nicht gerade legal anhören. Vielleicht zählte ja auch ein gewisser Herr Guttenberg zu seiner Kundschaft.