Auf dem Karakorum Highway nach Gilgit und zu den Fairy Meadows

Qualifiziert eine Ausbildung zum Schlachter auch zum Busfahrer? Diese Frage drängte sich uns auf, nachdem wir in Rawalpindi den Nachtbus in Richtung Gilgit bestiegen. Der Bus wechselte, mit der Hupe im Daueranschlag, von einer Straßenseite auf die andere. Der zweite Busfahrer war immerfort damit beschäftigt, die voraus fahrenden Fahrzeuge per Handzeichen aus dem Weg zu dirigieren oder den gerade überholten zuzurufen, was er von ihrer Geschwindigkeit hielt. Schließlich saßen wir in einem VIP Express-Bus, ein Beispiel dafür, wie vieles in der Welt relativ ist, der die 500 km nach Gilgit dem offiziellen Zeitplan gemäß in 17 Stunden bewältigen sollte. Soweit mal kein anderes Fahrzeug in Sichtweite war, das der Aufmerksamkeit des zweiten Busfahrers bedurfte, kletterte dieser bei voller Fahrt auf das Dach, um noch ein paar letzte Gepäckstücke zu verstauen. Tatsächlich schafften wir die Strecke in 20 Stunden, was gar nicht so schlecht ist, da andere Reisende von bis zu 29 Stunden berichten. Drei Stunden nach der Abfahrt in Rawalpindi fuhren wir durch Abbottabad, das durch Bin Laden zu gewisser Berühmtheit gelangte. Beim Anblick von Abbottabad fiel uns auf, dass wir auf dem Laptop gerade den Film „Captain America: The First Avenger“ anschauten, was eventuell als etwas unglücklich bezeichnet werden könnte 🙂 Zumindest sofern es überhaupt eine Situation gibt, in der ein Amerikaner im Stars und Stripes Strampelanzug als unglücklich bezeichnet werden kann.

Da wir in der ersten Reihe saßen, konnten wir uns später auch ausstrecken und sogar etwas Schlaf finden. Dieser wurde allerdings immer wieder durch zwei Faktoren unterbrochen. Zum einen wurde mein Kopf in den rasant genommenen Kurven immer wieder auf den Gang hinaus geschleudert und der auf das Erwachen folgende Anblick einer die gesamte Frontscheibe ausfüllenden Felsmauer, auf die man scheinbar zurauscht, war nicht geeignet, den Schlaf sofort zurückkehren zu lassen. Jedes Mal bewegte sich die Mauer allerdings zur Seite weg und gab den Blick auf ein tiefes Tal frei, an dessen Hängen sich der Karakoram Highway (KKH) entlangschlängelt. Der Highway, der vor allem durch die Chinesen errichtet wurde, macht dabei an vielen Stellen den Eindruck, als ob er einfach in das Felsmassiv hinein gemeißelt wurde. Diese wagemutige Straßenführung, die erst eine Überlandverbindung zwischen China und Pakistan ermöglichte, ist allerdings auch nach der Errichtung den Kräften der Natur ausgeliefert. So erzwingen häufige Erdrutsche einen fortwährenden Baubetrieb. Entlang der gesamten Strecke fallen schweres chinesisches Baugerät sowie viele chinesische Bauarbeiter auf, die mit der ständigen Ausbesserung und Verbesserung der Straße beschäftigt sind.

Im Bus von Rawalpindi nach Gilgit auf dem Karakoram "Highway"

Beseitigung eines kleinen Erdrutsches auf dem KKH

Windkanal? Was für ein Windkanal?

Zusätzlich machten ab Mitternacht regelmäßige Kontrollpunkte der Polizei für zwei Stunden das Schlafen unmöglich. Alle dreißig Minuten mussten die Ausländer, also Ania und ich, den Bus verlassen, um unsere Personalien in wechselnder Detailliertheit in ein Logbuch einzutragen. Währenddessen wurde natürlich immer auch geklärt, ob wir verheiratet oder Geschwister seien, warum wir noch keine Kinder hätten und ob uns Pakistan gefallen würde. An einem Kontrollpunkt vor Bescham, nahe dem Swat Tal, in dem es 2007 zu schweren Kämpfen zwischen militanten religiösen Extremisten und der pakistanischen Armee kam, wurde uns sogar ein Polizist mit Maschinengewehr als Begleitschutz mitgegeben. Wie beruhigend 🙂 Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, keine Region in Pakistan zu bereisen, die für Touristen nur mit Polizeischutz zugänglich ist, aber für dieses kurze Stück nahe dem Swat Tal gab es keine Alternative und die wirkliche Bedrohung erscheint zumindest hier eher gering. Die starke Polizei- und Militärpräsenz zeigt allerdings an, dass dieser Konflikt, von dem man seit 2008 nichts mehr gehört hat, noch nicht ganz ausgestanden ist. In Nordpakistan haben wir auch einige Touristen getroffen, die in ganz Pakistan unterwegs waren und sehr oft von schwer bewaffneten Soldaten begleitet wurden. Amerikaner scheinen dabei besonders wertvoll und werden immer von der doppelten Anzahl von Soldaten begleitet. Im großen Personalaufwand für diesen Personenschutz sowie der Gefahr einer schlechten Presse im Falle einer Entführung liegt wohl auch die Tatsache begründet, dass die pakistanische Regierung die Visa-Erteilung eher restriktiv handhabt.

Diese Visa-Restriktionen treffen allerdings auch die für Touristen sehr sicheren Regionen (Lahore, Islamabad, Karakoram Highway), die wir besuchten. Vor allem entlang des Karakoram Highways haben wir immer wieder gehört, wie stark die Touristenzahlen seit dem 11. September zurück gegangen seien und wie stark alle darunter litten, die vom Tourismus leben. Viele Hotels haben bereits aufgegeben und in unserem schönen Hotel in Gilgit, in dem wir 5 Euro für ein Ensuite- Doppelzimmer bezahlten, trafen wir nur zwei weitere Gäste an. Der Rückgang der Touristenzahlen wird oftmals den Amerikanern angelastet, die den Afghanistan-Krieg auch nach Pakistan trugen und insgesamt für ein schlechtes Bild Pakistans in der westlichen Öffentlichkeit sorgen. Auch wenn dies sicherlich stimmt und die amerikanischen Drohnenangriffe auf pakistanischem Boden auf längere Sicht enorme Instabilität schaffen, da sie die Autorität der pakistanischen Institutionen untergraben und auch zum Aufstand im Swat Tal beigetragen haben mögen, machen es sich doch viele etwas einfach, die Schuld nur den Amerikanern zuzuschreiben.

Im April hatten wir in Indien von einem deutschen Motorradtouristen erfahren, dass der Karakoram Highway aufgrund ethnischer Konflikte komplett gesperrt sei. Unsere Nachforschungen hatten dann ergeben, dass an die 50 Menschen bei ethnischen Zusammenstößen gestorben seien. Zu unserem Glück fanden diese Vorfälle in den deutschen Medien keine Erwähnung und unsere Nachforschungen in Pakistan ergaben, dass der KKH wieder geöffnet und für Ausländer ohne Probleme zu bereisen sei. Unsere Gastgeber in Lahore wussten allerdings nicht einmal etwas von den Auseinandersetzungen in Gilgit und auch die kurzen englischsprachigen Nachrichtenmeldungen, die wir im Internet fanden, waren nicht geeignet zu erklären, was im April vorgefallen war. Kurz vor Gilgit erblickten wir am Straßenrand drei ausgebrannte Busse, die einen beklemmenden Anblick boten. Wir fragten uns, ob wir hier noch die Überreste der Auseinandersetzungen sehen, was sich später bestätigen sollte. Nachdem wir in den letzten Wochen mit vielen Menschen sprachen, haben wir ein erstes Bild davon erhalten, was  sich im April ereignete. Entlang des KKH reihen sich nicht nur unterschiedliche Sprachen aneinander, sondern auch die Zugehörigkeiten zu den verschiedenen Sekten des Islam. Die Menschen im südlichen Teil des KKH gehören zur Gruppe der Sunniten, nördlich von Gilgit leben überwiegend Schiiten und Ismaeli. In Gilgit, dem städtischen Zentrum des KKH, treffen diese unterschiedlichen Sekten aufeinander und vor allem zwischen Sunniten und Schiiten kommt es zu regelmäßigen Auseinandersetzungen. Im April waren viele Schiiten auf dem Rückweg von einer Pilgerfahrt in den Iran. Sunnitische Terroristen, in Uniformen der pakistanischen Armee gekleidet, stoppten einige Busse südlich von Gilgit und forderten die Schiiten auf auszusteigen. Aus Sicherheitsgründen würden diese per Hubschreiber weiter transportiert. Die aussortierten Schiiten wurden dann allerdings exekutiert und die Busse in Brand gesteckt. Drei dieser Busse stehen immer noch am Straßenrand. Wir haben aber auch von einigen Bussen gehört, in denen die Passagiere ahnten, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging und sich Sunniten sowie Schiiten weigerten, getrennt auszusteigen oder sich zu erkennen zu geben. Hierdurch haben nach Erzählungen alle Passagiere überlebt. Diese Massaker führten zu Demonstrationen von Schiiten in Gilgit, was zu weiteren Zusammenstößen zwischen Sunniten und Schiiten führte. Ein Konflikt mit langer Tradition in Gilgit.

Aber zurück in unseren Bus. Während der seltener werdenden Kontrollpunkte im Laufe der Nacht und am frühen Morgen wies uns der Busfahrer an, die Vorhänge zuzuziehen und nicht aus dem Fenster zu schauen, um die langwierigen Eintragungen der Personalien an den Kontrollpunkten zu vermeiden. An einem letzten Kontrollpunkt vor Gilgit mussten wir dann doch wieder aussteigen, um uns im Logbuch zu verewigen. Die Polizisten hier sprachen kein Englisch mehr und sahen mit ihren traditionellen Hüten und längeren Bärten auch ganz anders aus als die Polizisten in Punjab. Einem dieser Stammeshelden fiel dann allerdings auf, dass unser Visum abgelaufen sei, und es dauerte eine Weile ihm zu erklären, dass der Ablauftag des Visums lediglich das Datum der letztmöglichen Einreise nach Pakistan markiere.

In Gilgit begrüßt ein erbeuteter indischer Militärhubschrauber die Gäste und es fällt im Vergleich zu den Städten in Punjab auf, dass fast gar keine Frauen in der Öffentlichkeit zu sehen sind. Die wenigen Frauen, die wir erblicken, sind ausnahmslos verschleiert. Auch Männer mit langen prophetischen Bärten sind wesentlich häufiger zu erblicken. Wir sind dann immer wieder über uns selber erstaunt, wenn wir erstaunt sind, dass diese uns freundlich anlächeln und auf Englisch begrüßen. So ganz schnell wird man seine mühsam aufgebauten Stereotype dann doch nicht los 🙂 Auf der Straße lernen wir einen Studenten kennen, der gerne ein bisschen Englisch üben möchte und uns die Stadt zeigt. Über die Auseinandersetzungen im letzten Monat, die im sichtlich unangenehm sind, redet er allerdings nicht so gerne.

In Gilgit gönnten wir uns das erste "Bier" seit zwei Monaten. Gutes 0,0% Bavaria, aus Holland importiert

Von Gilgit aus fuhren wir zurück in südliche Richtung zur „nur“ 80 Kilometer entfernten Raikot Brücke, was ganze vier Stunden in Anspruch nahm. Unser Ziel war das bekannteste Feriendomizil Nordpakistans, die Fairy Meadows. Auf der Fahrt, die in weiten Teilen durch eine trockenen Mondlandschaft führte, kamen wir immer wieder durch kleine Dörfer, die mit ihrer üppig grünen Vegetation und ihrem friedlichen Erscheinungsbild wie kleine nahezu paradiesische Oasen wirkten. Etwas angenervt wurde ich allerdings davon, von einem Mitfahrer als Deutscher für den gemeinsamen Kampf gegen die USA vereinnahmt zu werden. Schließlich habe Deutschland unter Hitler auch gegen die USA gekämpft. Den Kommentar, dass Deutschland ohne die Befreiung durch die USA wohl abgefuckter wäre als Pakistan, habe ich mir allerdings verkniffen. Bevor wir diese „kurze“ Fahrt zur Raikot Brücke antreten konnten, mussten wir allerdings noch warten, bis der Toyota Hiace bis auf den letzten Platz besetzt war, was fast zwei Stunden dauerte. Hierbei ist allerdings wiederum zu beachten, dass ein Ausdruck wie „bis auf den letzten Platz“ durchaus relativ sein kann. In Gilgit bedeutet es zwanzig Erwachsene plus eine beliebige Anzahl an Kindern, die ihre Eltern über, unter, auf, vor, hinter oder neben sich unterbringen können.

An der Bushaltestelle in Gilgit müssen wir warten, bis sich der Toyota Hiace mit 20 Personen gefüllt hat

An der Raikot Brücke zweigt die „Straße“ zu den Fairy Meadows vom KKH ab, und da es sich um eine Privatstraße handelt, die von den lokalen Anwohnern gebaut wurde und in Stand gehalten wird, geht es von hier entweder zu Fuß oder per Jeep weiter.  Da wir die 15 Kilometer lange Strecke, die 1400 Meter ansteigt und durch eine absolut trockene Bergregion führt, nicht zu Fuß zurück legen wollten, investierten wir die 25 Euro für die 90-minütige Jeep-Fahrt. Da wir nur zu zweit waren, gesellten sich noch drei einheimische „Anhalter“ hinzu, die die kostenlose Transportmöglichkeit nutzten, und unterwegs sprangen auch noch einige „Anhalter“, die einen mehr, die anderen weniger erfolgreich, auf unseren Jeep auf. Die Straße ist dermaßen eng, dass zwei Autos nur mit Hilfe akrobatischer Kunststücke aneinander vorbei kommen und schlängelt sich dramatisch den immer steiler werdenden Talkessel hinauf. Während wir zunächst noch ein Video für Oma machten, verging selbst uns nach einer halben Stunde das Scherzen 😉 Unser Jeep musste immer wieder anhalten, um einzelne Felsbrocken oder die Überreste eines kleinen Erdrutsches zu beseitigen.

Ein kleiner Erdrutsch auf der zu engen Straße zu den Fairy Meadows

Nach 90 Minuten im Jeep mussten wir dann noch weitere 600 Höhenmeter zu Fuß zurücklegen, schafften es allerdings vor der Dunkelheit zu den Fairy Meadows. Der Ausblick auf die Nordwand des Nanga Parbat war zunächst durch Wolken und Nebel verdeckt, was allerdings dazu geeignet war, den wow-Effekt am nächsten Morgen zu steigern.

Aussicht am ersten Morgen nach unserer Ankunft

Obwohl es viele kleine Ferienhütten auf den Fairy Meadows gibt, waren wir die erste Nacht die einzigen Touristen, da die Hauptsaison erst Ende Juni beginnt, wenn die pakistanische Mittelklasse vor der schwülen Regenzeit aus Punjab und Karachi flüchtet. Für die zweite Nacht hatte sich allerdings eine Gruppe von 25 Studenten aus Lahore angekündigt. Wie uns die Betreiber unseres Campingplatzes/ Hotels erzählen, sind Pakistanis aus Punjab nicht all zu beliebt („Punjabis not god“), da sie arrogant, nicht gastfreundlich und überheblich seien. Unsere Anmerkung, dass wir ganz andere Erfahrungen mit den Menschen in Punjab gemacht hätten, wurde damit erklärt, dass wir Ausländer seien. Punjabis würden die Menschen in Nordpakistan, die mit einer anderen Muttersprache aufwachsen, oft wie niedriger gestellte Menschen behandeln.

Speziell den Einwohnern Lahores eilt der Ruf voraus, sich prinzipiell nicht zu bewegen und ihr ganzes Leben dem Essen zu widmen. Dieses Stereotyp vor Augen sind die Mitarbeiter in unserem Hotel den ganzen Tag damit beschäftigt, das Essen für die Studentengruppe vorzubereiten. Die Studenten wiederum versuchen ihrem Stereotyp der Fußfaulheit gerecht zu werden ,und so kommen die letzten Mitglieder der Gruppe erst nach vierstündigem Fußmarsch (für lediglich 4km mit 600 m Höhenunterschied) in der Dunkelheit an, wobei gerade einige Mädels, die sich schon in der Dunkelheit erfrieren sahen, total in Tränen aufgelöst sind. Nach dem Essen sind dann wiederum alle glücklich und singen gemeinsam am Lagerfeuer. Ein solch bunter Haufen von westlich gekleideten Männern und Frauen, die ohne Berührungsängste miteinander umgehen, muss für die lokalen Einwohner jedenfalls ziemlich merkwürdig wirken. Ich falle in unserem zu nah am Lagerfeuer stehenden Zelt gerade in den Schlaf, als der Versuch, Barbie-Girl anzustimmen, an der fehlenden Textsicherheit scheitert. Wir sind jedenfalls heilfroh, dass es sich um pakistanische Studenten handelt, bei denen keine Gefahr besteht, dass sie des Nachts betrunken gegen unser Zelt kotzen.

 

Nordwand des Nanga Parbat

Blick auf die Nordwand des Nanga Parbat von den Fairy Meadows

View Point auf dem Weg zum Nanga Parbat Base Camp

Sonnenuntergang vor unserem Zelt

Nanga Parbat im Mondlicht

Rückweg von den Fairy Meadows zum Jeep

Gegenverkehr

Unser Jeep in Richtung Raikot Brücke

Zurück auf dem Karakoram Highway an der Raikot Brücke

 

Dieser Beitrag wurde unter 12. Pakistan veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.