Können Hitler und Gandhi zugleich bewundert werden?

Für den durchschnittlichen Europäer dürfte allein schon die Fragestellung äußerst absurd erscheinen. Oder kann sich jemand einen von Gandhi schwärmenden Neonazi vorstellen? Außer der (teilweise) fehlenden Haarpracht scheint es eher weniger Gemeinsamkeiten zu geben. Kaum ist ein größerer Gegensatz als zwischen Adolf Hitler, dem Vordenker eines grenzenlosen Menschenhasses und Antiliberalismus,  und Mahatma Gandhi, dem gewaltlosen Widerstandskämpfer gegen Unterdrückung und Hass vorstellbar. Trotzdem findet sich hier in Bahnhofsbuchhandlungen die Autobiografie Gandhis direkt neben den Bekenntnissen einer Flachpfeife, besser bekannt als „Mein Kampf“.

Dazu trifft man immer wieder Inder, die spontan bekennen, Adolf Hitler zu bewundern. Man wisse zwar, dass er für die Ermordung vieler Menschen verantwortlich sei, aber man bewundere zumindest seinen Charakter und seine Person. In einem Land, in welchem Gandhi jede einzelne Banknote ziert, erscheint es durchaus etwas merkwürdig. Wie passt dies also zusammen? Da die Personen, die ihre Bewunderung für Hitler ausdrückten, es nur in Ansätzen erklären konnten, habe ich zusätzlich mal ein bisschen auf Couchsurfing herumgefragt (auch für diesen Zweck eignet sich Couchsurfing hervorragend).

Ein Couchsurfer meint, dass fehlendes Wissen ausschlaggebend sei. Europäische Geschichte spiele im indischen Geschichtsunterricht keine große Rolle, so dass die meisten Inder kein tieferes Wissen über die Nazidiktatur hätten. Dagegen würden viele Inder allerdings den Namen Hitler aus Redensarten kennen. Eltern sagen beispielsweise zu ihren Kindern: „Benimm dich nicht wie der Hitler des Hauses” oder „Sei nicht solch ein Hitler”, wenn Kinder zu bestimmend werden.  Nett.  Jetzt verstehe ich auch, warum mir ein Fünftklässler während meines ersten Praktikums in einer Hauptschule sagte, dass ich wie Hitler sei. Ich fasse es jetzt einfach mal nachträglich als Kompliment auf 🙂 Die Stunde Nachsitzen mit Lektüre von Briefen der Todeskommandos in Auschwitz hat ihm trotzdem wohl ganz gut getan.

Aber zurück zum Thema. Ein Couchsurfer verweist zusätzlich noch auf die indische Geschichte. In dieser gebe es viele Geschichten von Menschenschlächtern, die sich beispielsweise durch den Kontakt zur Religion zu positiven Figuren und Heilsbringern wandelten. Aus dieser Perspektive muss eine Person, von der man zwar wisse, dass sie für den Tod vieler Menschen verantwortlich sei, nicht unbedingt eine negative Figur sein. Der  Couchsurfer äußert auch die Vermutung, dass einige Inder mit ihren Kenntnissen angeben wollen. In diesem Sinn wäre das Schwärmen von Hitler nichts anderes als das Schwärmen von Bayern München, um dem Gesprächspartner zu signalisieren, dass man etwas über sein Herkunftsland weiß. Dies erklärt allerdings nichts so ganz, warum auch anderen Europäern, Australiern usw. erzählt wird, dass man Hitler bewundere.

Ist die Bewunderung für Hitler also eine Mischung aus Unwissenheit, Halbwissen und Angeben?

Überraschenderweise lässt sich auch eine wirkliche Verbindung zwischen Hitler und Gandhi in Form zweier Briefe finden, die Gandhi 1939 und 1940 an Hitler schrieb. Beide Briefe begann Gandhi mit dem Ausdruck „Lieber Freund”. Falls man hier aufhört zu lesen, könnte man wirklich meinen, die beiden sollten im Buchladen nebeneinander stehen.  Schließlich „kämpften” beide auch gleichzeitig gegen die Engländer. Gandhi versuchte Hitler allerdings davon zu überzeugen, keinen Krieg zu beginnen, da ein solcher die Menschheit  in den Zustand der Primitivität und Grausamkeit versetzen würde. Vor dem Hintergrund eines solchen Anliegens kann das „Lieber Freund” wohl verziehen werden 🙂

Andere Teile der indischen Widerstandsbewegung, die nichts mit Gandhis Gewaltlosigkeit anfangen konnten, griffen im gewaltsamen Kampf gegen die englische Kolonialherrschaft tatsächlich auf die Unterstützung Nazideutschlands zurück. Zu diesem Thema entstand im letzten Jahr sogar ein indischer Film „Gandhi to Hitler„, der eigentlich „Dear Friend Hitler“ heißen sollte. Diesem Motto entsprechend wird Hitler anscheinend als „ehrenhafter patriotischer Deutscher“ dargestellt. Ein IMDB (Internet Movie Database=Internet Filmdatenbank)  Rating von 3,6 lässt so einiges erwarten 😉

Zu diesem verklärenden Blick auf Hitler, der zur gleichen Zeit aber mit ganz anderen Zielen gegen England kämpfte, kommt noch die Nazi-Symbolik. Die Nazis haben mit ihrem Hakenkreuz einfach ein altes Symbol übernommen, das auch in Indien an jeder Straßenecke zu finden ist. Dazu kommt die Verwendung des Wortes Arier, was aus dem Sanskrit stammt und so viel wie nobel bedeutet. Heute ist der Vorname Arya in Indien sehr beliebt. Jemand, der solch positiv besetzte Symbole und Worte benutzt (und zusätzlich noch England bombardierte), muss doch ganz nett sein oder 😉

Was bleibt als Fazit? Inder, die von sich behaupten, Hitler zu bewundern, sind weit von der Hitler innewohnenden Menschenverachtung entfernt. Man könnte sogar behaupten, dass es keine wirkliche Bewunderung ist, sondern nur ein aus dem Kontext gerissener Name, in den der Bewunderer das hinein projiziert, was er möchte. Andererseits könnte man wie Peter Scholl-Latour auch das gesamte indische Kastenwesen als intellektuellen Bruder des nationalsozialistischen Rassismus deuten.

Bleibt noch die Frage nach dem überall verfügbaren „Mein Kampf“. Ist das gleiche Phänomen wie in Nazideutschland zu beobachten? Überall erhältlich, aber niemand liest es.

Ein Cocusurfer verwies auf einen indischen Zeitungsartikel, in dem der Autor (Akshai Jain) der steigenden Popularität des Buches nachgeht. Seit 2003 sei „Mein Kampf“ in Indien erhältlich, und nach Angabe indischer Verlage werden jährlich 70.000 Exemplare verkauft. Eine ordentliche Auflage. Der Autor des Zeitungsartikels befragt Buchverkäufer und Leser zu „Mein Kampf“ und Hitler, die Spannendes zu erzählen wissen:

  • „Ich weiß nicht genau. Ich glaube, Hitler war eine Art Kaiser“
  • „Er ist ein Mann, der gegen alles rebellierte. Er erschuf seinen eigenen Weg“
  • „Die Botschaft ist, dass man alles schaffen kann, falls man seine ganze Konzentration darauf richtet“
  • „Ich glaube,“ Mein Kampf“ ist ein wirkliches Meisterstück. Obwohl es ein bisschen chauvinistisch ist, ist es das beste Buch, um Management von Grunde auf zu verstehen.“

Wow, „Mein Kampf“ als Management- und you-can-do-it-Literatur 🙂 Wenn der Freistaat Bayern, Besitzer des Urheberrechts an „Mein Kampf“, mal knapp bei Kasse sein sollte , könnte über eine Vermarktung in Deutschland nachgedacht werden. Würde folgenden Werbespruch vorschlagen: „Wenn ein Österreicher Diktator von Deutschland werden kann, warum nicht auch du? Yes you can!“

Aber genug davon. Bleibt noch die praktische Frage, wie man in Indien vermeiden kann, immer wieder über Hitler zu sprechen. Nun gestehen Inder zwar nicht nur Deutschen, dass sie Hitler bewundern, trotzdem könnte die Angabe einer anderen Nationalität das Gespräch in eine andere Richtung lenken. Meist wird hier sowieso zuerst nach dem Heimatland gefragt. Neben der Assoziation mit Hitler treibt die deutsche Nationalität den Händlern auch die Dollar Zeichen in die Augen. Es gibt einfach zu viele deutsche Touristen, die eine Behandlung als bei lebendigem Leibe auszunehmende Weihnachtsgans als Kompliment empfinden.  Bei uns  bietet sich natürlich an, vereinfachend Polen als Heimatland anzugeben, was meist du folgendem Gesprächsauftakt führt:

  • „Friend/ Sir/ Miss, where are you from“?
  • „Poland.“
  • „Ahh, Coffeeshop, nice!“

… Ich weiß, es dauert ein bisschen, bis der Groschen fällt …

Da ich jetzt schon wieder zu viel geschrieben habe und wir in der letzten Woche mehr getan haben, als über Gandhi und Hitler nachzudenken, gibt es den Rest als Bildergeschichte.

Von Delhi ging es nach Agra, um das Taj Mahal zu bewundern. Da es einfach zu warm war, konnten wir uns immer nur früh morgens zum Sightseeing aufraffen.

 

Inder sind die Meister perspektivischer Fotografie. Wir müssen noch ein bisschen üben

Das schöne Fort in Agra

Eingang zur Moschee in Fathepur Sikri.

Den Bienen scheinen die hohen Tore zu gefallen.

Von Agra ging es mit dem Nachtzug ins spirituelle Herz der Inder, Varanasi.

Als ich dieses Bild im Internetcafe hochlade, sitzt eine Nonne neben mir, die bei youtube gerade die 25 besten worship songs auscheckt. 🙂

Varanasi

Blick auf den Ganges

Sonnenaufgang. Jetzt ist die Hitze noch einigermaßen erträglich

Blick vom Ganges auf die Ghats in Varanasi

Hm, ich hoffe inständig, dass dies nicht die Erklärung der hohen Preise für das Wäsche waschen ist.

Tierkadaver. Tiere werden nicht verbrannt, sondern landen als ganzes im Ganges

Abendliche Zeremonie am Gangesufer.

Bevor wir uns beschweren konnten, hatten wir eine Segnung auf der Stirn. Für eine kleine Spende gab es dann sogar das Versprechen eines langen Lebens. Bei einem solchen Versprechen muss der Servicedienstleister wenigstens keine Angst vor Reklamationen haben.

Ein kühlendes Bad

Hm. Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Kuh. Und ich meine nicht das Faktum, dass es sich eventuell um einen Wasserbüffel handelt.

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