Schnitzeljagd in Delhi

In vier Tagen Delhi haben wir keine einzige Sehenswürdigkeit näher zu Gesicht bekommen. Statt dessen waren wir per Rickshaw auf Schnitzeljagd, oder besser gesagt auf drei Schnitzeljagden.

1. Schnitzeljagd – Die Jagd nach dem Zugticket

Man könnte geneigt sein, uns nach der Lektüre der folgenden Abschnitte für etwas minderbemittelt zu halten. Zu unserer Verteidigung muss allerdings angeführt werden, dass wir aufgrund der unglaublichen Freundlichkeit der normalen Inder geneigt waren zu vergessen, dass es auch ein anderes Indien gibt. Dieses andere Indien sieht keinen Unterschied zwischen Milchkühen und Touristen. Beide Gattungen werden nicht geschlachtet, dies ist aber auch das einzige, was vom Leben erwartet werden kann.

Unsere Mission bestand darin, Zugtickets im International Tourist Bureau zu kaufen, das sich nach Angaben unseres sechs Jahre alten Reiseführers im ersten Stock des Bahnhofs befinden sollte. Gleichzeitig warnte der Reiseführer vor Schleppern, die die Touristen in nahe gelegene Reisebüros umleiten wollen. Wir mussten genau zu diesem International Tourist Bureau, da Indien, das Weltzentrum der positiven Diskriminierung, ein Sonderkontingent für alle möglichen Menschengruppen, darunter auch ausländische Touristen, bereithält. Dieses Ticketkontingent wird in Delhi in diesem Büro verkauft. Dabei wurden wir so gründlich ver******, dass es uns erst am nächsten Tag auffiel. Eine geradezu virtuose Inszenierung. Das Ganze lief folgendermaßen ab:

1. Wir kämpfen uns den Weg durch den übervollen Bahnhof. Ein Inder kommt von der Seite an und fragt, ob wir Tickets kaufen möchten und weist uns den Weg. Wir sind angenervt, da wir ihn für einen Schlepper halten. Dann zeigt er allerdings nur noch auf die Treppe im linken Bahnhofsflügel und verabschiedet sich. Wir haben natürlich Schuldgefühle, da wir sofort annahmen, dass er uns zu einem Reisebüro führen will. Statt dessen hat er uns nur den Weg zu einer Treppe im linken oberen Stockwerk gezeigt. Genau dort soll ja auch das Ticketbüro sein.

2. Wir kommen in den ersten Stock, wo sich Schlafsäle und Übernachtungszimmer für Zugreisende befinden. Auf einem Stuhl vor einem Schlafsaal sitzt jemand (wir hielten ihn für den Manager des Bahnhofhotels), der uns gleich anspricht und helfen möchte. Es stimme, dass das Ticketbüro hier gewesen sei, aber mittlerweile sei es in die Touristeninformation umgezogen. Auf unserer Karte, auf der die offiziellen Touristenbüros verzeichnet sind, markiert er eine in der Innenstadt. Wir unterhalten uns noch ein bisschen freundlich, und da der Bahnhof so voll ist, zeigt er uns freundlicherweise 🙂 den Weg zu einem Nebenausgang. Wir sollten aber auf keinen Fall mehr als 20 Rupien für die Rickshaw bezahlen und uns nur zum offiziellen Touristenbüro bringen lassen.

3. Am Ausgang warten direkt mehrere Rickshaw Fahrer, denen wir auf der Karte das markierte Touristenbüro zeigen, das diese (natürlich) kennen und versichern, uns zur offiziellen Stelle zu bringen.

4. Wir fahren allerdings an der Adresse des offiziellen Büros vorbei und halten an einem nicht ganz so „offiziellen“ Touristenbüro, was sogar uns in diesem Moment klar war. Wir gehen trotzdem hinein, da wir auch bereit sind, einen Aufpreis für die Tickets zu bezahlen, wenn das Büro die Tickets schnell organisieren kann und wir nicht weiter herumsuchen müssen.

5. Der freundliche Berater möchte sich allerdings nicht damit begnügen, uns Zugtickets zu verkaufen. Er sieht natürlich gerne nach, ob es noch Tickets gibt und zeigt uns den Computerbildschirm. „Leider“ seien alle Tickets bereits ausverkauft. Statt dessen versuchte er uns gleich ein ganzes Paket mit Privatauto und Hotelbuchungen zu verkaufen, was sowieso viel bequemer und sicherer sei …

6. Wir laufen zum offiziellen Touristenbüro, wo man nichts davon weiß, dass Tickets hier verkauft werden sollen und man schickt uns zum Bahnhof (International Tourist Bureau, erster Stock). Aaargh.

7. Wir kommen dieses mal an einer ganz anderen Bahnhofseite mit einem anderen Bahnhofsgebäude an und sind etwas verwirrt. Beim Versuch, den Bahnhof zu betreten, werden wir am Sicherheitscheck nach unseren Tickets gefragt. Man dürfe den Bahnhof nur mit Tickets betreten. Der vermeintliche Bahnmitarbeiter (mit Bahn Anstecknadel) bringt uns dann zu einem Ticketoffice, an dem man Tickets für Züge kaufen kann, die in den nächsten Stunden abfahren. Andere Tickets könne man in diesem Bahnhofsgebäude nicht kaufen, sondern im offiziellen Touristenbüro in der Innenstadt. „???“ Er markiert in unsere Karte ein anderes offiziell eingezeichnetes Touristenbüro. Wir sind ratlos. Da wir uns allerdings immer noch nicht vorstellen können, dass gestern drei Schlepper zusammengearbeitet haben, gehen wir davon aus, dass gestern einfach nur das falsche Touristenbüro markiert wurde.

8.Der „Bahnmitarbeiter“ verhandelt auch einen günstigen Fahrpreis mit einem Fahrer, der sich erst (was für ein Schauspieltalent) weigert, Ausländer für einen so niedrigen Preis zu befördern, uns dann aber doch mitnimmt. Clevere Bastarde. Als uns der Fahrer persönlich bis in das Büro bringt, ist auch uns wieder klar, was gespielt wird.

9. Wir fragen trotzdem nach Bahntickets, und alles verläuft so wie beim letzten mal. Nein, wir möchten keine zwei Wochen All-Inclusive Rundfahrt und auch keinen super-duper Bahnpass mit eingeschlossenen Übernachtungen samt Frühstück. Als wir dann gehen wollen, fängt der Berater an, uns als Scheiß Deutsche zu beschimpfen. Für Ania sogar eine „doppelte Beleidigung“, wie sie anmerkt :-). Es müsse doch in das Hirn von Scheiß Lehrern (nach Beruf, Familienstand und Aufenthaltsdauer in Indien wird hier immer zuerst gefragt) hinein gehen, dass es keine Zugtickets gäbe. Wir machen von außen ein Foto vom Laden und verziehen uns, als der „Berater“ fluchend aus dem Laden gestürmt kommt.

10. Wir nehmen uns eine neue Rickshaw. Der Deal mit dem Fahrer ist, dass wir nur bezahlen, falls er uns direkt am Eingang zum Internationalen Tourist Bureau am Bahnhof raus lässt. Dies sei natürlich kein Problem. Statt dessen hält er an einem anderen Gebäude in Bahnhofsnähe und möchte uns in ein anderes Ticketbüro lotsen, welches schließlich auch im ersten Stock liege 🙂 Ständige Wiederholung führt zu gewissem Lernerfolg und so gehen wir einfach, ohne das Büro zu betreten.

11. Beim dritten Anlauf lassen wir uns von niemandem mehr vom Weg abbringen. Wir schaffen es, uns bis zum Internationalen Toursit Bureau durchzufragen, wo die netten Mitarbeiter natürlich noch Zugticktes für uns buchen konnten.

 

2. Schnitzeljagd – Die Jagd nach dem iranischen Visum

Die Jagd nach dem iranischen Visum begann schon vor zwei Monaten mit der Anforderung einer Bestätigungsnummer im iranischen Außenministerium. Mit dieser magischen Nummer öffnen sich die Tore einer vorher ausgewählten iranischen Botschaft, wo das Visum eigentlich nur noch abgeholt werden soll. So einfach war es dann allerdings nicht. Bevor man meinen Antrag weiter bearbeiten könne, brauche man erst einmal die Fingerabdrücke aller 10 Finger. Von polnischen Passbesitzern brauche man dies nicht, aber von Deutschen und anderen Europäern. Hallo? Grass ist nicht einmal mehr Ehrernbürger in Danzig. Zumindest hatten wir somit die Hälfte der Kosten gespart.

Ich musste jedenfalls zu einem Anwalt, der mich zu einer offiziellen Stelle am indischen High Court begleitete, die meine Fingerabdrücke abnahm. Die Rückseite des Formulars wurde dann noch mit zeitgenössischer indischer Kunst (= Stempeln in allen geometrischen Formen) versehen. Damit ging es zurück zur Botschaft, wo uns ein Zahlungsbeleg für die Visa Gebühr in die Hand gedrückt wurde. Mit diesem sollten wir zu einer  spezifischen Bank und das Geld in bar einzahlen. Mit einem Bestätigungsformular der Bank ging es dann zurück zur Botschaft, wo uns ein Abholschein in die Hand gedrückt wurde. Mit diesem konnten wir an einem anderen Tag wieder kommen, um schließlich unsere Pässe samt Visa abzuholen.

 

3. Schnitzeljagd – Die Jagd nach der Turkmenischen Botschaft

Ziel der letzten Jagd war das Aufspüren der turkmenischen Botschaft. Im Internet fanden wir zwar keine offizielle Webseite, aber dafür drei unterschiedliche Adressen. Das Haus der ersten Adresse wurde gerade renoviert. Uns wurde trotzdem gleich das Tor geöffnet, da man uns wahrscheinlich für Mietinteressenten oder so etwas hielt 🙂 Wir durften einmal durch das Haus laufen, konnten aber keinen versteckten turkmenischen Konsul finden. An der zweiten Adresse waren wir auch falsch, allerdings hatte man hier schon einmal von Turkmenistan gehört und bestätigte uns, dass die dritte Adresse richtig sei. Dort endlich angekommen war es fünf nach 12, und die bis 14 Uhr dauernde Mittagspause hatte gerade begonnen 🙁

Der zweite Besuch war besser getimt. Zwar wurden wir nicht eingelassen, aber dafür durften wir über das Telefon des Pförtners mit einer netten Konsulin sprechen, die uns über die weiteren Formalitäten aufklärte. DasGoogeln der e-Mail Adresse, die wir zur Dokumentenlieferung erhielten, führte dann auch sogleich zur offiziellen Webseite der Botschaft. Warum einfach, wenn´s auch kompliziert geht. Dies wäre übrigens auch ein toller Werbespruch für ganz Indien 🙂

Stolzer Besitzer amtlich beglaubigter Fingerabdrücke

Eines der vielen privaten Reisebüros, die sich Mühe geben, möglichst offiziell auszusehen. Dieses Exemplar lohnt einen Besuch für alle, die gerne beschimpft, beleidigt und über den Tisch gezogen werden 🙂

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