Die Polnische Botschaft in Bangkok – Eine Groteske in drei Akten

An dieser Stelle eine kleine Geschichte, die in der polnischen Botschaft in Bangkok spielt. Eine Geschichte voller Bürokraten, Bürokratie und Vorschriften. Eine Geschichte, deren dritter Akt im Rückblick so surreal erscheint, dass es sich um einen schlechten Traum handeln könnte. Wenigstens ist es eine Geschichte, die im dritten Akt eventuell erlauben würde, das Wort kafkaesk (zumindest ein bisschen) zu nutzen, womit die Geschichte wohl einen Artikel verdient.

Prolog
1. Ein jeder Staat, der etwas auf sich hält, begnügt sich nicht mit einer Seite im Reisepass. Nein, ein richtiger Staat nutzt gleich zwei Ausweisseiten. Eine für den wunderschönen Aufkleber und eine frische Seite für den Stempel. Wo kämen wir denn hin, wenn sich zwei Staaten, die etwas auf sich halten, eine Seite im Reisepass teilen würden.

2. Für die Grenzprovinz zum Iran besteht eine Reisewarnung. Aus diesem Grund haben wir unsere Reiseplanung geändert und wollen durch die zentralasiatischen Republiken in den Iran reisen. Dies bedeutet allerdings, dass wir vier zusätzliche Visa in unseren Reisepässen unterbringen müssen, wofür der Platz in Ania´s Reisepass nicht ausreicht.

3. Zentralasien ist aus der Perspektive der Visa-Bürokratie eine problematisch zu bereisende Region. Visa sind schwierig zu bekommen, die Bearbeitung ist langwierig, und teilweise wird schon ein Visum für  das nächste Land benötigt, um ein Visum für das erste Land zu bekommen. Alles klar? Dazu kommen noch drakonische Strafen für den Fall, dass man zu lange im Land bleibt und sein Visum überzieht. In dieser Region einen Monat auf die Ausstellung eines neuen Reisepasses zu warten oder mit einem vorläufigen Reisepass (mit den jeweiligen Visa im alten Pass) zu reisen, könnte Probleme verursachen und im ungünstigsten Fall dazu führen, im Niemandsland hängen zu bleiben oder einen sehr teuren last-minute Flug zu buchen, um die Überziehung eines Visums zu vermeiden.

Ergebnis dieser Überlegungen
Was liegt also näher, als in der polnischen Botschaft in Bangkok einen neuen Reisepass zu beantragen? Oder falls möglich, einen Zweitpass, so dass wir nach der Durchquerung Zentralasiens auch Israel besuchen können, ohne Probleme in den Nachbarländern befürchten zu müssen.

Der Groteske I. Akt (23. Januar 2012)
Wir stehen in der polnischen Botschaft in Bangkok vor verschlossenen Türen, da das chinesische Neujahrsfest gefeiert wird. Etwas merkwürdig, da dieser Tag in Thailand – und soweit uns bekannt auch in Polen – kein Feiertag ist, aber nun gut. Es ging weiter zur indischen Botschaft, wo wir ein indisches Visum beantragen und unsere Pässe hinterlassen durften.

Der Groteske II. Akt (25. Januar 2012)
Da die Botschaft das niedere Volk lediglich drei mal pro Woche empfängt, stehen wir erst zwei Tage später vor der Botschaft. Die kompetente Sachbearbeiterin war auf Ania´s Anfrage bezüglich eines zweiten Reisepasses zunächst überfordert und behauptete, dass es so etwas in Polen ja überhaupt nicht gebe. Da Ania ihr allerdings die Gesetzesstelle nennen konnte, rief sie die Konsulin hinzu. Auf sehr unfreundliche Art wurde Ania von dieser mitgeteilt, dass ein zweiter Reisepass nur durch den Minister persönlich genehmigt werden könne und dies natürlich nur in Polen möglich sei. Und überhaupt, was falle ihr ein, so etwas in Bangkok beantragen zu wollen. Tse Tse Tse. Da war die Konsulin wirklich sehr empört. Was sich die Bürger heutzutage herausnehmen.

Ok, kein Problem. Dann geht es auf dieser Reise eben nicht nach Israel und wir beantragen einfach einen neuen Pass, um wenigstens Zentralasien in einem Rutsch ohne Komplikationen durchqueren zu können (ohne dass auf halber Strecke die Seiten ausgehen).
Aber nein, auch dies ist nicht so einfach möglich, da Ania nur ihren Personalausweis dabei habe. Einen neuen Reisepass könne man nur mit dem alten Reisepass beantragen. Der lag nur leider bei der indischen Botschaft, da die polnische wegen des chinesischen Neujahres geschlossen hatte. Ok, ist wohl unser Fehler. Wir hätten uns denken können, dass ein Personalausweis nicht genug ist. Kommen wir halt demnächst wieder nach Bangkok.

Der Groteske III. Akt (8. Februar 2012)

Erste Szene (Foyer)
Wieder stehen wir vor den Pforten zur Hö… äh Botschaft, die im 25. Stock eines modernen Bürohauses in Bangkok untergebracht ist. Diesmal sollte  eigentlich nichts schief laufen. Der alte Reisepass ist vorhanden und wir wollen lediglich einen neuen beantragen. Ich mache es mir mit einem Kaffee aus dem SevenEleven in einer Ecke im Foyer gemütlich, und Ania nimmt den Aufzug zur Audienz in der Botschaft. Genau an dieser Stelle habe ich bereits letztes Mal mit Ania´s Eltern gesessen, als Ania nach ihrem letzten Besuch in der Botschaft wütend um die Ecke gebogen kam. Über meinem Kaffee stellte ich mir vor, wie sie gleich um die Ecke kommen würde. Entweder mit einem Lächeln auf dem Gesicht oder mit Tränen in den Augen. Aber nein, nein, sie wird mit einem Lächeln um die Ecke kommen, was könnte schon schief gehen.

Zweite Szene (Foyer)
Eine viertel Stunde später kommt Ania mit Tränen in den Augen zurück. Die Sachbearbeiterin der Botschaft hatte nämlich ihre mathematischen Kenntnisse bemüht und festgestellt, dass noch sieben freie Seiten vorhanden seien. Da könne man ihr natürlich keinen neuen Pass geben. Jegliche Erklärungsversuche, warum sie den Pass bereits jetzt beantragen wolle, wurden abgeblockt und die Sachbearbeiterin drehte sich einfach um und ward verschwunden. Höhere Mathematik oder die Fähigkeit zuzuhören scheint nicht die Stärke der Sachbearbeiterin zu sein, sonst hätte sie verstanden, dass sieben Seiten gerade mal für drei, eventuell für vier Visa ausreichen, wir allerdings in den nächsten Monaten sieben Visa benötigen, um nach Europa zurück zu kommen. Nachdem Ania´s Wut und Verzweiflung vor allem darüber, dass man sie nicht einmal anhört und ausreden lässt, verklungen war, beschlossen wir noch einmal gemeinsam zur Botschaft zu gehen und uns dem bürokratischen Monster nicht ohne rationale Argumentation geschlagen zu geben.

Dritte Szene (Botschaftsraum)
Nun stehe ich also erstmalig vor dem eigentlichen Eingang zur Botschaft im 25. Stock. Nach einem Klingeln verkündet ein Summen der Tür, dass wir eintreten dürfen. Wir finden uns in einem kleinen beengten grauen Raum wieder. Hinter einer Wand, nur sichtbar durch eine dicke Glasscheibe, erblicken wir die Empfangsdame (das einzige menschliche Wesen, das wir bei unserem Besuch zu Gesicht bekommen sollen), mit der wir nur über eine in der Wand eingelassene Fernsprechanlage kommunizieren können. Ania bittet darum, nochmals mit der Sachbearbeiterin sprechen zu dürfen, die auch kurz darauf hinter der dicken Glasscheibe erscheint und den Telefonhörer in die Hand nimmt, um mit uns zu „sprechen“. Ania kann allerdings kaum ansetzen, um etwas zu erklären, als ihr die Sachbearbeiterin derart patzig das Wort abschneidet, dass ich fast schon erwarte, das Fensterglas ob der Eiseskälte platzen zu sehen. Als ich sie daraufhin frage, ob sie Englisch spreche, fehlen ihr zunächst für einen Augenblick die Worte, und daher muss sie sich meine Ausführungen zu Zentralasien erst einmal anhören. Nach kurzer Diskussion, die sich vor allem darum drehte, dass wir mit Flugtickets „beweisen“ müssten, dass wir wirklich nach Zentralasien reisen möchten, verschwindet sie ohne einen Kommentar in den nicht einsehbaren Eingeweiden der Botschaft. Kurz darauf öffnet sich  hinter uns eine kleine Tür und die Konsulin höchstpersönlich steckt ihren Kopf heraus. Meine kurz aufflammende Hoffnung, ein vernünftiges Gespräch ohne trennende Glasscheibe führen zu dürfen, verflüchtigt sich allerdings, als die Konsulin Ania zu sich ins Besprechungszimmer kommandiert und mir mit einem Befehlston, der mir so noch nirgendwo untergekommen ist, befiehlt, dort zu bleiben. wo ich sei. Jawoll. Was fällt mir auch ein anzunehmen, dass ich als minderwertiger deutscher Staatsbürger meine Frau ins  Besprechungszimmer in der polnischen Botschaft begleiten dürfe. Danach hört man fünf Minuten lang vor allem eine Person reden und so, der visuellen Reize beraubt, könnte man meinen, dass eine Mutter (der  wohl bald das Sorgerecht aberkannt werden würde) ihr unartiges Kind zur Schnecke macht. Die Konsulin beschuldigte Ania dabei mehrmals, nicht den wahren Grund (!!!) für ihren Antrag zu nennen, und sie forderte sie mehrmals auf, ihr endlich zu sagen, warum sie in Wirklichkeit (!!!) einen neuen Reisepass wolle. Ania müsse ihr etwas verschweigen, warum sonst würde sie 15 Mal (???) zur Botschaft kommen.  Auch forderte sie Ania nach einer detaillierten Frage zur Gültigkeit vorläufiger Reisepässe abschätzig auf, sich doch in das gesamte polnische Recht einzulesen , da es ihr anscheinend so gut gefalle, sich mit Gesetzen auseinanderzusetzen (!??!). Nie habe ich Ania so verzweifelt und wütend gesehen wie zu dem Zeitpunkt, als sie genug von diesem Schwachsinn gehört hatte und aus der Tür herausstürmte. Da Ania im Besprechungsraum, im Redeschwall der Konsulin, kaum irgendetwas erwidern konnte, versuchte ich mich mit einer letzten Bitte an die Konsulin zu wenden, als sie gerade die Tür schließen wollte. Hochwürden nahm sich sogar eine Minute, um mir zuzuhören. Dann beschuldigte sie uns allerdings, die Reise nicht gut genug vorbereitet zu haben (soll man hier lachen oder weinen). Meine Anmerkung, dass die Vorschrift eine Sache sei, aber jede Vorschrift Interpretationsspielraum für die Entscheidungsbefugten lasse, empörte sie allerdings so sehr, dass man um ihre Gesundheit hätte fürchten müssen, wenn sie nicht so jung gewesen wäre.  Sie machte mir jedoch eindeutig klar, dass eine Vorschrift eine Vorschrift sei und an der man überhaupt nichts herumdeuten könne, und dass es  mich als Deutschen ja mal überhaupt nichts angehe, wie man diese Dinge nach dem polnischen Gesetz regele. Und damit war die Tür dann zu und wir standen alleine im kleinen Zimmer mit der dicken Glasscheibe. Ein weiteres Summen der Tür forderte uns dann eindringlich auf, auch dieses Zimmer zu verlassen.

Nun möchte ich an dieser Stelle klarstellen, dass ich nichts gegen Bürokratie im Allgemeinen habe. Bürokratie soll schließlich dafür sorgen, dass für alle die gleichen Regeln gelten und diese Regeln auch eingehalten werden. Problematisch wird Bürokratie einerseits, wenn über Geldzahlungen die Macht der Bürokraten erkauft wird, was man dann wohl Korruption nennt. Andererseits wird es problematisch, wenn Bürokraten behaupten, dass sie keinerlei Spielraum für individuelle Entscheidungen hätten, sondern einfach nur Vorgaben befolgen würden. Die Vorgaben ließen natürlich keinerlei Spielraum zur Interpretation und der Bürokrat müsse sich daher auch keine rational vorgebrachte Erklärung des Bürgers anhören. Macht es bei einer solchen Auffassung von Bürokratie noch einen Unterschied,  welchem  System der Bürokrat dient?

Nach diesem Gespräch saßen wir noch einige Zeit absolut sprachlos im Foyer herum, da wir beide uns nicht entsinnen konnten, wann wir jemals mit solch herablassender selbstherrlicher Überheblichkeit behandelt worden  waren. Wir hätten ja noch damit leben können, wenn es generell nicht möglich wäre, in einer Botschaft einen neuen Reisepass zu erhalten. Aber eine Ablehnung, die auf solch einer Begründung beruht und vor allem noch in solch einer Art und Weise vermittelt wird, ist für einen demokratischen Staat einfach nicht akzeptabel.

Um den ersten Stresspegel abzubauen, mussten wir dann erst einmal am Nachmittag ins Kino, um uns die geniale Neuverfilmung von „Verblendung“ anzusehen. Zu sehen, wie Lisbeth Salander ihren staatlich beauftragten Vergewaltiger Ganzkörper-tätowiert, half doch, die erste Frustration zu kanalisieren 😉 Alles weitere wird hoffentlich dieser Artikel kanalisieren.

Damit uns die Botschaft in Bangkok auch weiterhin in guter Erinnerung behält, haben wir uns vorgenommen, ihr von Zeit zu Zeit eine Dankesbotschaft in Form von Postkarten zukommen zu lassen. Die erste Postkarte haben wir in Ko Tao mit folgender Dankesrede verfasst. Hier die deutsche Übersetzung:

Eine Postkarte

Sehr geehrte Frau Kowalczyk-Sabat,
hiermit möchten wir uns aufrichtig für Ihre unbürokratische Unterstützung unserer Hochzeitsreise bedanken. Wir haben die Besuche in Ihrem Etablissement sehr genossen. Besonders angenehm sind uns Ihr freundlicher Umgangston, Ihre positive Einstellung und Ihr Einfühlungsvermögen in Erinnerung geblieben. In Auseinandersetzung mit der internationalen Visa-Bürokratie ist es für den Bürger beruhigend, die eigene Botschaft als tatkräftigen Unterstützer an seiner Seite zu wissen. Ob es uns trotz Ihrer Unterstützung gelingen wird, unsere Reise planmäßig zu beenden, können Sie auf www.there-and-back-again nachlesen.

Hochachtungsvoll

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